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Partei — und geht insoweit, für den Fall, dass sie überhaupt
etwas erklärt, über den sonstigen Grundsatz hinaus, dass
die Parteien nur Rechte im Processe haben —, die „zur Be-
gründung ihrer Anträge erforderlichen thatsächlichen Umstände
der Wahrheit gemäss vollständig und bestimmt anzugeben.“
‚Freilich soll, wie P.O. S. 237 bestätigt, die „Verletzung dieser Vor-
schrift keinen unmittelbaren Rechtsnachtheil für die zuwider-
handelnde Partei“ nach sich ziehen, wie bei Ableugnung einer
urkundlichen Unterschrift (s. o.). Allein diese lex imperfecta, die
eine Richtschnur für ein anständiges Verhalten im Processe
gibt, hat auch als solche Werth; das Gericht darf die Partei an
diese ihre Pflicht erinnern und wird seine Schlüsse im Uebrigen
ziehen, wo sie sich als verletzt an einem bestimmten Punkte heraus-
stellt. Dazu kommt aber noch, dass $ 552 Nr. 3 P.O. die Wieder-
aufnahme des Verfahrens gewährt, „wenn das Urtheil durch eine
ım Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verfolgende Be-
trugshandlung des — Gegners — erwirkt wurde“ (vergl. da-
neben P.O. $ 390 und 552 Nr. 2). Mit Feststellung jener Wahr-
heitspflicht würde die bisherige, etwas künstliche Unterscheidung
fallen müssen, dass die Betrugsstrafe (Str.G.B. $ 263) nur bei be-
trüglicher Verwendung von Beweismitteln, nicht schon bei Vor-
spiegelung falscher, Entstellung oder Unterdrückung wahrer That-
sachen im Wege blosser Behauptungen als angedroht anzusehen
ge1°0),
Inwieweit diese Vorschriften aber trotz alledem von Erfolg
begleitet sein werden, wage ich nicht vorauszusagen.
50) Entsch. des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. I, S. 228, II. Bd. 8. 91,
436; V. S. 822, XV, S. 132; XVI, S. 195, 392; OLsHAVsen, Commentar III.
Aufl., 2. Bd., S. 1095, Anm. 40a. zu $ 263 Str. G.B.; von Liszt, Strafrecht
(V. Aufl.) S. 489; Wach bei GRÜNHUT, Zeitschr. für öffentl. u. Privatrecht,
1879, 8.548. — Ueber „Erschleichung* von günstigen Entscheidungen s. auch
noch die „Amtlichen Nachrichten“ des deutschen Reichsversicherungsamts
1890, 8. 192.