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Nach Art. 53 des Reichsverf. liegt die Organisation und
Zusammensetzung der Marine dem Kaiser ob. Eine kaiserliche Ver-
ordnung, welche die Einführung des preussischen Militärstraf-
rechts bei der Reichsmarine ausspräche, ist ebenfalls nicht er-
gangen, nur die Bezeichnung der früheren preussischen Marine-
behörden, welche als Reichsbehörden einfach weiter functionirt
haben, ist entsprechend geändert.
Die Rechtshülfe der Civilgerichte gegenüber den Marinege-
richten, welche durch $ 7 des Einführungsgesetzes zum G.-V.-G.
aufrecht erhalten sind, ist also durch die einschlägigen Para-
graphen der Militärstrafgerichtsordnung vom 3. April 1845 nicht
geregelt.
Es fragt sich nun, nach welchem Strafprozessrechte ist die Zu-
lässigkeit der Rechtshülfe seitens der Civilgerichte zu beurtheilen.
Auf den ersten Blick könnte man behaupten: nach der Reichs-
strafprozessordnung. Dieser Ansicht ist allerdings das Oberlandes-
gericht zu Üelle in seinem Beschlusse vom 27. Okt. 1888 beige-
treten 1%). Der Fall lag folgendermassen: Ein Divisionsgericht hatte
in einer Untersuchung wegen Fahnenflucht ein Amtsgericht er-
sucht, über den gegenwärtigen Aufenthalt des Angeschuldigten
dessen Bruder zu vernehmen und ihm zu eröffnen, welche Strafe
ersteren im Falle seines Fortbleibens treffen würde. Diese Er-
öffnung ist dem Bruder gemacht, welcher darauf hingewiesen,
dass er nach $ 51 St.-P.-O. befugt sei, das Zeugniss zu verweigern,
erklärte, nicht aussagen zu wollen. Den Antrag durch Zwangs-
massregeln den Bruder zur Auskunft über den Aufenthalt des
Deserteurs zu veranlassen, lehnte das Amtsgericht ab. In der
Beschwerde führte das Militärgericht aus, es handelte sich hier
nicht um eine eventuell eidliche Zeugenaussage, 8 51 sei daher
nicht anwendbar, vielmehr sei der zu Vernehmende nur auskunfts-
weise zu hören und könne die Auskunft nicht ablehnen, da die
14) GOLTDAMMER's Archiv, Bd. 87, 8. 88.