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Verhältniss der Super- und Subordination zwischen ihnen und der übrigen
Christenheit bestand, um desswillen, weil sie „berufene Boten Jesu“ waren.
Darum hat es seinen verständigen Grund, dass das Recht der kirchlichen
Aemter stets von dem der Apostel abgeleitet worden ist, dasjenige des evan-
gelischen Pastors wie dasjenige des katholischen Bischofs. Hat dieser sein
Recht, weil er der Nachfolger der Apostel ist, so hat es jener, weil er sich
zu ihrem Wort bekannt und ihm Gehorsam versprochen hat.
Unzweifelhaft haben in allen diesen Verhältnissen nicht bloss äusser-
liche Faktoren, z. B. der äusserliche Taufvollzug oder die einmalige, der
Vergangenheit angehörende Beauftragung durch Jesus das Handeln der
ersten Kirche bestimmt, sondern das äusserliche wurde mit dem innerlichen,
der in die Vergangenheit fallende Akt mit der durch ihn eingeleiteten
Lebensbewegung zusammengefasst. Der „Bruder“ begründete sein Anrecht
an die Ekklesis nicht bloss dadurch, dass er getauft war, sondern auch da-
durch, dass er wie ein „Bruder“ dachte und handelte, und der Apostel be-
gründete seinen Anspruch an den Gehorsam der Gemeinden dadurch, dass
er sich als der mit Geist und Kraft besonders begabte erwies. Wäre aber
dadurch die Anwendung des Rechtsbegriffs unmöglich, so wäre das Recht
auf die Handhabung einer grundlosen Form und gehaltlosen Formel reducirt,
und das Sonm’sche Dogma müsste sofort dahin ausgedehnt werden, dass dem
Staat, der Kultur, der Wissenschaft etc. das „Recht“ ebenso unerträglich sei,
wie solches „Recht“ in der That der Kirche unerträglich ist.
Da Soun in der ältesten Zeit gar kein Recht kennt, hat er mit be-
sonderer Sorgfalt den Punkt beleuchtet, wo es nach seiner Meinung ent-
springt: die Ordnung der Eucharistie wird zur Wurzel des Kirchenrechts
und gestaltet die gesammte Organisation der Kirche. Dass die Sakramente
in der Rechtsgeschichte fortwährend höchst wichtige Faktoren sind, liegt in
der Natur der Sache, weil gerade sie das Geistige in eine That umsetzen,
an die sich auch formelle Konsequenzen heften. Es ist aber eine Ueber-
treibung, dass das ganze Kirchenrecht aus der Eucharistie herauswachse.
Auch die Taufe hat sehr wichtige rechtliche Bildungen veranlasst, z. B. die
Identifikation der Kirchgemeinde mit der ÖOrtseinwohnerschaft mittelst der
Kindertaufe.. Und neben den Sakramenten sind das Lehrgeschäft und die
Handhabung der als heilig geltenden ethischen Normen (Strafgewalt) und
die sociale Aktion der Gemeinden, welche eine weitgehende Gemeinsamkeit
in ihrem geistigen und materiellen Besitz erstrebte, ebenfalls die kräftigen
Erzeuger rechtlicher Bildungen geworden. Es zeigt sich hier die Grenze,
die der Dogmatiker selten vermeidet, wenn er Geschichte schreibt. Er
schenkt seine Aufmerksamkeit nicht der Mannigfaltigkeit der Potenzen,
deren gemeinsames Ergebniss die geschichtlichen Bildungen sind, sondern
wird geneigt sein, dieselben aus „einem“ Princip zu erklären und derselben
Regel zu unterwerfen. In Sonm’s Zeichnung des geschichtlichen Verlaufs ist
unzweifelhaft fester Konnex, aber dieser ist fast monoton.