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in erster Linie und allenthalben als Ausgangspunkt — diejenigen Grundsätze
entwickelt, welche allen deutschen Expropriationsbestimmungen gemeinsam
sind (das sogen. gemeine deutsche Expropriationsrecht!).
Ein eingehendes Studium dieses Werkes ergiebt, - dass der Verfasser
sozusagen alle Winkel ausgekehrt und unter ausgiebigster Benutzung aller
vorhandenen Litteratur und zugänglichen Vorentscheidungen den Stoff gründ-
lich erschöpft hat. Dass er das Buch „Rechtswirkungen“ nennt und in den
Ueberschriften der Abschnitte nur von „rechtlichen Wirkungen“ spricht,
ändert daran nichts. Dass aber der 1. und 2. Abschnitt zusammen als
I. Theil dem 3. Abschnitte als II. Theile gegenübergestellt werden, wird
dadurch, dass die Besprechung der Entschädigungslehre — der Reichhaltig-
keit der gerade hier vorhandenen Präjudicien entsprechend — den breitesten
Raum einnimmt und den das materielle Recht am meisten berührenden Theil
des formellen mit umfasst, noch nicht ausreichend gerechtfertigt. Wenn
man die drei gleichwerthigen „Abschnitte“ unter einen höheren Gesichtspunkt
ordnen wollte, könnte man eher umgekehrt den ersten als allgemeinen Theil
den beiden anderen (2. und 3. Abschnitte) zusammen als dem besonderen
Theile gegenüberstellen. Wäre nach diesem Gesichtspunkte eine scharfe
Gliederung folgerecht durchgeführt worden, so hätten sich vielleicht manche
Wiederholungen vermeiden lassen. Indessen erscheint im vorliegenden Falle,
wo es sich nicht darum handelt, aus einem gesetzlich abgeschlossenen Rechts-
institute ein wissenschaftliches System, sondern vielmehr darum, aus einer
noch im Werden begriffenen Materie die Vorarbeiten zu einem organischen
Gesetzeswerke zu schaffen, und auf solange, bis es dazu kommt, der Praxis
Unterlagen an die Hand zu geben, die Breite in der Behandlung des Stoffes
und das Breittreten so mancher untergeordneterer Einzelfrage nicht als ein
Fehler sondern vielmehr als ein Vorzug.
Auch sachlich ist es vom Standpunkte des Praktikers aus gewiss nur
zu loben, wenn der Verfasser in Bezug auf die Grundlagen der Enteignungs-
lehre den schon vorhandenen mannigfachen Theorien nicht noch eine neue
hinzufügt, sondern sich vielmehr nach ausführlicher Besprechung aller ver-
schiedener Auffassungen in den Elementen seines Systems den in neuester
Zeit zur Herrschaft gelangten Anschauungen LaBann’s und von RoHLAND’s
anschliesst und sich auf den Versuch beschränkt, deren Lehren an der Hand
der von den bewährtesten Rechtslehrern der Gegenwart aufgestellten Regeln
weiter zu entwickeln, in allen Uonsequenzen fest zu bestimmen und für die
Sächsische Enteignungspraxis zu verwerthen. Aus allen motivirenden Deduc-
tionen fühlt man die WınnschHEip'sche Schule heraus und auf die Darstellung
der Interesseleistung ist der Einfluss Mouusen’s unverkennbar. Dass gleich-
wohl in manchen Punkten nicht zu sicheren und befriedigenden Ergebnissen
gelangt werden konnte, liegt nicht an dem Verf, sondern an dem gegen-
wärtigen Stande der fraglichen Gesetzgebung. Im Gegentheil ist der Verf.
keiner Schwierigkeit ausgewichen und hat alle Lehrsätze auf das Gewissen-