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hafteste bis in ihre äussersten Spitzen verfolgt, dabei aber sämmtliche auf-
zutreibenden Entscheidungen der obersten Gerichte und Verwaltungsbehör-
den (namentlich auch des Reichsgerichts) sorgfältig geprüft und mit grosser
Vorsicht verwendet. Dass seine Resultate nicht durchgängig einwandsfrei
und die Beweisführungen manchmal künstlich und gezwungen sind, wird kein
Kenner dieses Stoffes auffällig finden.
Freiberg. Wahle.
1. Dr. Theodor Pistorius, Die Staatsgerichtshöfe und die Minister-
verantwortlichkeit nach heutigem deutschen Staatsrecht.
Tübingen, Verlag der H. Laupp’schen Buchhandlung, 1891.
2. Adalbert Lucz, Ministerverant wortlichkeit und Staatsgerichts-
höfe. Eine staatsrechtliche Abhandlung. Wien, Verlag von Moritz
Perles, 1893.
Der Stand der herrschenden Lehre über die rechtliche Natur der
Ministerverantwortlichkeit darf wohl dahin gefasst werden, dass es sich als
eine Frage der positiven Ausgestaltung dieses Rechtsinstitutes erweise, ob
wir es mit einer strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Einrichtung zu
thun haben. Freilich muss zugegeben werden, dass der ersteren Auffassung
für den Kreis des deutschen Territorialstaatsrechtes durch die Reichsjustiz-
gesetzgebung der Boden entzogen worden ist.
Nunmehr versucht Pıstorıus in der angezeigten Schrift das Problem
der Ministerverantwortlichkeit in der Weise zu lösen, dass er den Begrift
einer selbstständigen staatsrechtlichen Verantwortlichkeit
konstruirt, deren Rechtsfolge im Falle der Verurtheilung daher auch nur
eine staatsrechtliche Strafe sein soll, die in der Zwangsentfernung zu
bestehen hat. Selbstverständlich werden aus dieser grundsätzlichen Auf-
fassung auch die entsprechenden Schlüsse auf das Wesen und die Funktion
des Staatsgerichtshofes gezogen. Eine wichtige, praktische Folge, die Pısto-
rıus aus dem Begriffe der staatsrechtlichen Strafe zieht, geht dahin, dass
böser Wille des Thäters nicht Bedingnis der Verurtheilung sei, und es auf
den Grad der Verschuldung nicht ankomme.
Die Ablehnung der strafrechtlichen Auffassung stützt Pıstorıus auf die
Erwägung, dass der Zweck des Verfahrens vor dem Staatsgerichtshofe ein
objektiver: Schutz der Verfassung sei, während sich der Zweck des Straf-
verfahrens als ein subjektiver: Bestrafung des Schuldigen darstelle. Uebrigens
ist hier Pıstorıus mit Rücksicht auf den Stand der Reichsjustizgesetzgebung,
deren Einfluss auf den einzelstaatlichen Rechtszustand er ausführlich dar-
legt, in der Lage, sich näherer Begründung zu entbalten. Hier mag nur der
Hinweis gestattet sein, dass neben der auf die Bestrafung des Schuldigen
gerichteten Tendenz sich auch ein starker objektiver Gehalt des
Strafverfahrens, das ja doch in letzter Linie die Aufrechthaltung der
Rechtsordnung garantiren soll, kaum in Zweifel ziehen lässt, Der Umstand,