— 313 —
bei Schriften, die sich an weitere Kreise wenden, immer wieder die unglaub-
liche Vernachlässigung der Darstellungsweise gerügt werden. ScHLIEF be-
kämpft mit guten Gründen die berüchtigten Aeusserungen TREITSCHKE’s über
den sittlichen Werth des Krieges. Indessen soll man nicht übersehen, dass
der Einfluss, den die Ideen TrEITScCHKE's in unserem geistigen Leben — ge-
wiss nicht durchweg segensreich — ausüben, sich grossen Theils auf die
Kunst einer manchmal geradezu verführerischen Darstellung gründet. Will
man dagegen ankämpfen, so sorge man, dass die besseren Anschauungen
nicht in so sehr viel schlechterer Rüstung erscheinen; sonst ist es ein Kampf
mit ungleichen Waffen.
ScHLIEF's Ausgangspunkt ist der unbefriedigende und mit unserer
übrigen Kultur in auffälligem Widerspruche befindliche Zustand des prak-
tischen Völkerrechts. Allerdings geht, der Verf. entschieden zu weit, wenn
er eigentlich die Existenz eines Völkerrechts überhaupt für die Gegenwart
nicht anerkennt, und besonders das sogen. Kriegsrecht verhöhnt. Er selbst
zeigt ja an anderer Stelle Verständniss für die Thatsache, dass der Begriff
des Rechts an sich nicht identisch ist mit seiner vollkommenen Erschei-
nungsform; dass vielmehr schon in den Keimen und Anfängen der Entwick-
lung dasselbe Wesen lebendig ist. Dass diese Anfänge hier noch überaus
dürftige sind, ist gewiss richtig; und dass sie einer unvergleichlich weiteren
und intensiveren Entwicklung nicht nur bedürftig, sondern auch fähig sind,
legt ScHLiEF ausführlich dar. Seine Bekämpfung der Richtungen, die sich
der Fortentwicklung des praktischen Völkerrechts entgegensetzen, indem
sie den Krieg als „Element der göttlichen Weltordnung“ und als „positives
Gut“ preisen, ist durchaus treffend, wie auch über den Zusammenhang der
inneren Politik, besonders der Parteibildung, mit der völkerrechtlichen
Sicherung des Friedens, und über die Wirksamkeit der heutigen Diplomatie
sich manche gute Beobachtung und viel gesundes Urtheil zeigt.
Mit Recht sieht ScaLier in der Solidarität der Kulturinteressen den
wichtigsten Nährboden für die Fortbildung des internationalen Rechts; ja
m. E. ist dieser Punkt im Verlauf des ganzen Werkes noch nicht scharf
genug herausgearbeitet und die Bedeutung der internationalen Wirthschafts-
beziehungen, dieser mächtigsten Triebkräfte internationaler Rechtsbildung,
nicht genügend in den Vordergrund gestellt. Ganz folgerichtig beschränkt
sich danach der Kreis der durch ein entwickelteres Völkerrecht einer „Fried-
fertigung“ entgegenzufübrenden Nationen auf diejenigen, denen eine gleiche
oder doch ähnliche Kultur gemeinsam ist. Dies Princip an sich ist klar und
einfach; über die conerete Grenzziehung im Einzelnen lässt sich freilich
streiten. — Dass es nun innerhalb dieses Kreises nicht etwa kurz und gut
mit einem so vielgepriesenen Abrüstungsvertrage gethan wäre, ist unbestreit-
bar; den politischen Dilettanten, die in einem solchen Vertrage die er-
staunlich einfache Lösung des schweren Problems sehen wollen, hält ScHLIEF
treffend entgegen, dass „eine solche Uebereinkunft, streng genommen, nichts