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anderes wäre, als die gegenseitige Gewährleistung einer bestimmten Kampf-
untüchtigkeit und damit einfach ein begrifiliches oder juristisches Unding“.
Das anzustrebende Ziel ist vielmehr eine — wenn auch zunächst nur
embryonische — internationale Organisation. SCHLIEF gibt sich überflüssiger
Weise redliche, aber natürlich vergebliche Mühe, diese Forderung mit dem
unseligen Souveränitätsbegriffe zu versöhnen. Dagegen ist seine Unterschei-
dung des internationalen Rechts auch in vollendeterer Gestalt von einem etwa
erträumten Weltstaatsrechte, wie die Verschiedenheit wahrhaft internationaler
Organisation von einem Universalreiche durchaus zutreffend.
So sehr der Verf. von der Nothwendigkeit der Selbstbeschränkung und
Bescheidenheit auf diesem heiklen Gebiete durchdrungen ist, so scheinen ihm
darin die bisherigen internationalen Schiedsgerichtsverträge und die ent-
sprechenden Bestrebungen doch des Guten zu viel zu thun. Als « und w
seiner „Friedfertigung Europas“ fordert er einen Grundvertrag zwischen allen
Mitgliedern des europäischen Staatensystems, einen Vertrag, durch welchen
nicht bloss einzelne, weniger wichtige, sondern schlechthin alle unter diesen
Staaten vorkommenden internationalen Streitigkeiten einem gerichtlichen
Verfahren, und zwar nicht vor einem ad hoc durch den einzelnen Vertrag
erst compromittirten, sondern vor einem permanenten internationalen Ge-
richtshofe unterstellt werden. Diesen Vertrag erklärt ScHLiEF für den
Völkerrechtsvertrag x«r £&goynv, mit dem ein wahres Völkerrecht erst
ins Leben trete. Eigenmächtige Selbsthilfe zwischen den Genossen des
Systems d. h. also Krieg zwischen den europäischen Kulturvölkern werde
dadurch erst zum wahren Rechtsbruch, der alle andern Genossen gegen den
Friedensstörer in die Schranken rufe. Jener permanente internationale Ge-
richtshof bestehe aus den Vertretern sämmtlicher Staaten des europäischen
Systems — unter jedesmaligem Ausscheiden der [Parteien des Einzelfalles.
Für die Stimmenvertheilung bietet SchLier ein Schema, welches ungefähr der
Einrichtung unseres deutschen Bundesraths entspricht, nebst Fingerzeigen
für die Prozessordnung u. s. w. Die Voraussetzung für das Funktioniren
dieser Organisation sei die „Stabilität“ des Gebietes der in dem System ver-
einigten Staaten. Um diese Stabilität zu erreichen, löst der Verf. die orien-
talische, die elsass-lothringische, die österreichische Frage e tutti quanti auf
50 Druckseiten. Wenn auf Grundlage solcher „Stabilität“ der Völkergerichtshof
erst funktionire, so werde sich von selbst der Wirkungskreis des völkerrecht-
lichen Systems bedeutend erweitern. Eine Neutralisirung der wichtigen euro-
päischen Meere und Meerengen liege nahe, und hieraus könne sich eine Neu-
tralitätsseemacht als Repräsentantin der völkerrechtlichen Oberhoheit ent-
wickeln. Auch an Beziehungen zum Auslande werde es dem europäischen
Staatensystem nicht fehlen. Denn einmal bleibe zunächst das amerikanische
Staatensystem für sich bestehen, ferner die Reiche einer völlig fremdartigen
Kultur, und endlich die ungeheuren Gebiete wilder Stämme, die erst durch
Kolonisation europäischer Gesittung zu erschliessen sind. Dass dieses Kultur-