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der Bevölkerung oder Vergrösserung des Landes und Abfluss der über-
schüssigen Bevölkerung nach neuen Colonisationsgebieten.
Die einzige Seite, nach der hin sich die deutsche Nation ausdehnen
kann, ist die Ostgrenze. An Russland muss seitens der Mächte Mittel-
Europas die Forderung gestellt und eventuell mit Gewalt durchgesetzt
werden, dass es alle seine Einfuhrzölle aufgebe, unbeschränkte Einwande-
rung gestatte, alle die Ansiedelungen von Ausländern erschwerenden Be-
stimmungen aufhebe und den Kolonisten das Recht der Selbstverwaltung
einräume. Gleichzeitig müssen auch die gemässigten Gebiete Süd-Amerikas
für Europa in Anspruch genommen werden, wo die europäischen Regie-
rungen Ländereien in grossem Massstabe für ihre dort anzusiedelnden Kolo-
nisten kaufen müssten.
Richtig ist jedenfalls soviel, dass die Existenzbedingungen eines
Landes stark bedroht sind, wenn es gezwungen ist, einen grösseren Theil
seiner Bevölkerung durch die Beschäftigung in der Exportindustrie zu
ernähren, deren Ernährung also von den wechselnden Bedürfnissen und
der wechselnden Wirthschaftspolitik des Auslandes abhängig ist, falls nicht,
wie in England, grosse die Absatzsicherheit verbürgende Colonien vorhanden
sind. Also die Weiterentwickelung Deutschlands zu einem Industriestaate
ist durchaus nicht wünschenswerth. Bei Aufstellung seiner Uebervölkerungs-
theorie hat der Verfasser indess die Tributpflichtigkeit fremder Staaten in
Form der nach Deutschland fliessenden Anleibezinsen nicht in Betracht ge-
zogen. Die vom Verfasser weiter vorgeschlagene gewaltsame Radikalkur
wollen wir hier nicht diskutiren, da in unserer Zeitschrift die Erörterung
von Fragen der hohen Politik ausgeschlossen ist. Im übrigen enthält das
Werk unleugbar viele sehr richtige Gedanken, die zwar von Vielen gehegt
werden, die man aber selten zu hören bekommt, und deren Erörterung auch
in der Presse vermieden wird, weil es den herrschenden Klassen unangenehm
ist. Damit soll nicht gesagt sein, dass wir alle Ausführungen des Verfassers,
z. B. über das nothwendige Vorhandensein einer industriellen Reservearmee
und die Unmöglichkeit der Beschaffung von Arbeit für das Heer der Vaga-
bunden für richtig halten.
u A. Quitzke.
Dr. Hans Kunz. Das zürcherische und eidgenössische Aktiv-
bürgerrecht. Zürich, ©. M. Ebell, 1892.
Eine tüchtige und gehaltvolle Studie aus dem Gebiete der neu auf-
blühenden schweizerischen Staatsrechtslehre. Sie geht der Summe der dem
Vollbürger zustehenden subjektiven öffentlichen Rechte, ihrer rechtsgeschicht-
lichen Entwicklung ‘und ihrem Zusammenhange nach mit anderen Ein-
richtungen im Systeme des schweizerischen Privat- und öffentlichen Rechts.
Die Konstruktion des Begriffes erschwert sich Verfasser stellenweise unnöthig,
durch Operiren mit luftigen Abstraktionen, die gerade vor den durchaus