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Veranlassung vor, dass speculative Köpfe die Gesellschaftsform
der Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht zur Verfolgung
persönlicher Interessen missbrauchten ; auch scheint das Gesetz
betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom
20. April 1892 ein günstiger Ableiter für solche Bestrebungen zu
sein. Im Interesse einer ruhigen und stetigen Entwickelung des
deutschen Genossenschaftswesens ist es zu wünschen, dass schlechte
Erfahrungen mit der Zulassung der beschränkten Haftpflicht er-
spart bleiben °2).
52) Ein Ereigniss aus der letzten Zeit lässt uns noch auf eine Bemerk-
ung auf S. 435 zurückkommen, wonach die beschränkte Haft unter Umstän-
den sogar mit grösserer Gefahr für die Mitglieder als die unbeschränkte
Haft verbunden ist. Bei dem Vorschuss- und Sparverein zu Weimar, ce. u. m.
u. H. hatte sich in Folge Misswirthschaft und schweren Vertrauensmissbrauchs
eine Unterbilanz von 2%/a Millionen Mark herausgestellt. Die General-
versammlung hat den Fortbestand der Genossenschaft trotz
der Unterbilanz beschlossen ($ 115 des Gesetzes). Die Folge der
Auflösung wäre der Concurs gewesen, bei dem die Unterbilanz sich
verdoppelt hätte, hunderte Familien ruinirt worden wären. Der Fortbestand
ist aber nur dadurch möglich, dass die Gläubiger bei der unbeschränkten
Haft kein oder nur ein ganz geringes Risico laufen, dass daher keine Ver-
anlassung zum Ausbruch einer Panik trotz der Unterbilanz vorhanden ist.
Die Genossenschaft wird fortbestehen, die Deckung der Unterbilanz erfolgt allmäh-
lich, die Mitglieder als solche vermögen die Verluste wenigstens zum Theil wieder
einzubringen, als Schuldner der Genossenschaft werden sie geschont, als
Gläubiger derselben verlieren sie nichts. Unter jeder andern Gesellschafts-
form müsste eine solche Unterbilanz zum Concurs und zum Ruin vieler
Familien — als Gläubiger oder Schuldner — führen. Nur bei unbeschränkter
Haftpflicht der Mitglieder, wegen der in derselben begründeten wirthschaft-
lichen und sittlichen Bedeutung lässt sich dies vermeiden. Wo es bei ein-
getragener Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht zum Concurse
gekommen, da ist dies fast ausnahmslos auf übereilte Anmeldung des
"Concurses oder überstürzte Auflösung zurückzuführen. In schwerster Krisis
— wie sie auch eine Genorsenschaft mit beschränkter Haftpflicht natürlich
treffen kann — bietet also gerade die unbeschränkte Haftpflicht die Möglich-
keit jene Krisis zu überwinden, vorausgesetzt nur, dass rechtzeitig die rich-
tigen Massregeln ergriffen werden (vgl. Blätter für Genossenschaftswesen
No. 9 von 1894).
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