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unternahm zuerst Dr. Run. WAGNER, Privatdocent an der Universität Leipzig,
der durch eine beginnende Lungenkrankheit seit dem Jahre 1878 mehrfach
zum Aufenthalt in Davos genöthigt, seine Forschungen in den Gemeinde-
und Privatarchiven begann. Zu früh für die Wissenschaft verstarb er zu
Weesen am 3. Juni 1885 im Alter von 33 Jahren?). Die Fortsetzung über-
nahm Prof. L. R. v. Sırıs in Basel, ein Sohn des Bündnerlandes, der neben
ausgedehnter anderweitiger Thätigkeit Zeit gefunden hat, gleich seinen Lands-
leuten PLantA, JUVALT, SPRECHER, JECKLIN, MoHr u. a. zur Kenntniss der
Vorzeit seiner engern Heimath einen werthvollen Beitrag zu leisten und zu-
gleich die Rechtsgeschichte überhaupt zu fördern. Er führte das Werk über
den ursprünglich vorgesehenen Plan (S. 2) hinaus, indem er auch die Quellen
des Gotteshausbundes aufnahm.
Was den zeitlichen Umfang der Sammlung anlangt, so beschränkten sich
die Herausgeber auf die Periode von ca. 1400 — Zeit der ersten Bünde*)
— bis zum Eintritt in die Eidgenossenschaft 1801, indem nur für diese
4 Jahrhunderte von einer eigenen Bündner Rechtsgeschichte gesprochen
werden könne, während die frühere Zeit, deren Quellen übrigens grössten-
theils schon edirt sind, theils zur deutschen, theils zur römisch-fränkischen
Rechtsgeschichte gehören.
Trotz dieser verhältnissmässig späten Zeitgrenze des Beginns dieses
Unternebmens gibt uns dasselbe, da bei der streng abgeschlossenen Natur
des Landes und dem eigenartigen Charakter der Bewohner eine sehr lang-
same Entwicklung des Rechts stattfand und die Anhänglichkeit an das Her-
gebrachte sich lange erhielt, ein Bild von Rechtsanschauungen, die in weit
frühere Zeiten zurückreichen.
Daher kommen namentlich die letzten 150 Jahre (von der Mitte des
17. Jahrhunderts bis zur sog. Helvetik, 1798) nur insofern in Betracht, als
manche Quellen in dieser Zeit neu aufgelegt worden sind, ohne wirklich
Neues zu bieten. Als die für die Rechtsentwicklung wichtigste Periode er-
scheinen die Jahre 14001650, wobei das letzte Jahrhundert dieses Zeit-
abschnitts zwar als Periode der heftigsten innern Kämpfe bekannt ist, zu-
gleich aber auch als die Geburtsperiode der spätern consolidirten Zustände
bezeichnet werden muss.
Oertlich zerfällt der Stoff nach den drei in jener Periode noch sehr
lose verbundenen drei Bünden. Dagegen sind die Rechtsquellen der „Unter-
thanenlande* — Veltlin, Cleven und Worms (Bormio) — als der italienischen
Bechtsentwicklung angehörend, ausgeschlossen. Ausser Betracht blieben
ferner eine „ungezählte Menge von Dorfordnungen, welche lediglich ökono-
mische Angelegenheiten zum Gegenstande haben“.
°) Vgl. dessen Nekrolog v. StToBBE in Ztschr. d. Savigny-Stiftung, Bd. 7.
4) Gotteshausbund seit ca. 1392, grauer Bund 1424, Zehngerichtenbund
ca. 1430.