— 597 —
Städten, ich meine namentlich Deutschlands, vorgenommen wurden, so kann
es nicht zweifelhaft sein, wem der Vorzug gebührt“.
Wie das Verhältniss des althergebrachten Volksrechts zu dem Satzungs-
recht der herrschaftlichen Gewalt aufgefasst wurde, zeigt z. B. das Statut
von Heinzenberg vom Jahre 1471. Hier wird erzählt, wie der Statthalter
des Grafen von Werdenberg vor dem herrschaftlichen Richter im „ver-
bannten Gericht“ erschienen sei, um „mit Recht zu erfahren, wie oder in
welcher Mass einer in Strafen wäre, der den Rechten nicht wollte gehorsam
sein oder wie es von Alter her wäre herkommen, es sei so einer ein Tot-
schlag thäte oder einer so ein Trostung bräche oder einen Blutruns schlüge“
u.8. w. u. 8. w. (es folgt die Aufzählung der verschiedensten Vergehen) „und
setzt zu Recht”), ob solches nicht sollte billig eröffnet werden, damit ehe-
genannter mein gnädiger Herr den Gehorsamen und Rechtthuenden zu de-
fendiren und beschirmen und den Ungehorsamen zu strafen und gehorsam zu
machen mit dem Rechten); da fragte ich der Richter das Recht um
(hielt Umfrage) bei dem Eid“. Nun folgen die einzelnen Satzungen. — Wir
haben da den früh - mittelalterlichen Gegensatz zwischen der Gemeinde,
die das Recht setzt, erhält und eröffnet, und der Obrigkeit, die desselben
pflegt, es im Gericht zu schützen und anzuwenden berufen ist. So behält
sich denn am Schlusse jedes Weisthums die Gerichtsgemeinde das Recht vor,
„über kurz oder lang die Satzungen abzuändern, zu mindern oder zu mehren,
nachdem uns gut dünkt“. Häufig gibt sich die Rechtsaufzeichnung geradezu
als Ergebniss vertragsmässiger Festsetzung zwischen Herrschaft und Ge-
meinden; so die Satzungen von Churwalden von 1441 und 1471: „Dass wir
mit denselben erbaren lüten zu Churwalden, so dann in dasselb gerichte ge-
hören, von freyen, aignen, hindersessen oder gotzhuslüten von Chur, gütlich
geaint und betragen worden syen“. Darauf folgt unter Anderem eine Reihe
strafrechtlicher Satzungen. Ebenso hat sich der Gerichtsherr Joh. v. Mar-
mels „in Ansehung guter fruntlicher Nachpurschaft* mit seinen Gerichts-
eingesessenen zu Malans verglichen ; hier handelt es sich hauptsächlich um
Vertheilung der Gerichtsbussen; aber diese gibt den Anlass zu Abfassung
eines eingehenden Strafkodex.
Ein anderes Zeichen später Fortdauer altererbter Volksanschauung tritt
uns in dem lebendigen Sippebewusstsein entgegen. Im Jahre 1498 wurde
im Zehngerichtenbund ein Gesetz straf- und polizeirechtlichen Inhalts an-
genommen, in dessen Ingress das Motiv sich findet, „dass man in etlichen
unserer Gerichte?) nicht wohl Fried und Sühne machen könne, und die
”), D. h. stellt die Anfrage an den Richter.
®) D. h. auf gerichtlichkem Wege. Es sind hienach die Worte einzu-
schalten „im Stande sei“ oder dgl.
®) D. h. Bezirke.