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Freundschaften!®) einander dazu Stärke geben, damit sie in Gericht und Ge-
walt die Oberhand gewinnen“. Nach demselben Gesetz bezieht „die Freund-
schaft“ einen Theil der Busse, wenn ein Knabe oder Mädehen gegen den
Willen seiner Eltern zum Eheabschluss verleitet worden; nach dem Statut
von Obervaz vom Jahre 1584 ist, wer eine Jungfrau oder Wittwe schwächt,
ihrer Freundschaft 15 Pfund verfallen und muss sich mit letzterer verstän-
digen über den Unterhalt der Geschwächten. Nach spätern Quellen fällt
jene Busse an die unterstützungspflichtige Gemeinde und so ist es noch heute
in der Schweiz vielfach Rechtens. — Auch in Bezug auf Näherrecht, ja
selbst im Schuldentrieb, ist der Verwandtschaft in weitem Umfang Rech-
nung getragen.
Nach den Statuten von Bergün muss noch im 17. Jahrhundert für die
Gerichtskosten, den Schaden (darin waren insbesondere begriffen die Löhne
des Landammanns, der Rechtsprecher, des Waibels u. s. w.), welche eines
Todtschlägers wegen erwachsen waren, im Fall seiner Zahlungsunfähigkeit
die ganze Gemeinde eintreten und einstehen, „damit keiner rechtlos sige
und jetlicher des rechtens geniesse“. Andrerseits sieht, beiläufig bemerkt
dieselbe Satzung vor, dass wegen Tödtung eines Fremden oder Landmannes,
auch wenn „seine Freunde das Recht nicht anrufen“, doch „derselbig tod-
schleger mit Recht fürgenommen“, d. h. von Amtswegen verfolgt werden
soll, was als Neuerung gegenüber dem früher festgehaltenen Anklageprincip
erscheint. Im Gesetzbuch für Ausserbelfort von 1697 wird mit Strafe be-
droht, wer Jemand „sein Geschlecht verweysen oder aufheben thut“, d. h.
einem Andern einen Vorwurf daraus macht, dass ein Glied von dessen Ver-
wandschaft bestraft worden sei.
Die Sprache der Rechtsquellen ist fast ausschliesslich die deutsche;
der romanischen Idiome bedient man sich erst in neuerer Zeit als Schrift-
sprache; früher hatte das Deutsche allein diesen Charakter. In den älteren
Aufzeichnungen namentlich ist ein reicher Schatz von sprüchwörtlichen Rede-
wendungen enthalten, die einen höchst originellen Charakter tragen, und eine
wichtige Ergänzung der culturgeschichtlichen Darstellungen des mittelalterlichen
Rechts abgeben würden. Erst gegen das 18. Jahrhundert treten fremd-
sprachige Rechtsausdrücke auf, wie Scusionen, Testamente und testamentiren,
Malefiz, eriminalisch, -Präscription, Prätensionen u. s. w. Unter Pacten
sind meist solche Verabredungen verstanden, welche einen betrügerischen,
unredlichen Charakter haben und den Wetten als unklagbar an die Seite
gestellt werden. Von eigenthümlichen, in sonstigen deutschen und schweizer
Quellen nicht leicht vorkommenden Ausdrücken mögen erwähnt sein:
Landwere für Verjährung (sie beträgt durchweg 12 Jahre); „„schgüsse“
(für Excusation) für Entschuldigung wegen Säumniss, Gottsgewalt für
10) D. h. Verwandtschaften, Geschlechter.