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Rechtsgeschichte“ abgewandt, nämlich wenn „Die Bildung endlich auf den
Punkt gelangt, wo sie durch das Zurückgehn in sich selbst eine Einheit in
der Mannigfaltigkeit gewinnt.* Denselben Standpunkt vertreten ıinutatis
mutandis bis auf BLuntscaut incl. alle Rechtsgelehrten, welche wir und unsere
Kindeskinder mit Stolz den anderen classischen Zeugen wissenschaftlichen
Denkens stets zuzählen werden — trotz sporadischem Epigonengerede von
veraltetem Standpunkt u. dgl.
Auch der deutsche Staatsmann, der in der ersten Hälfte des Jahrhun-
derts als geistvollster gilt, W. v. HuMBoLpr. vertritt in „Grenzen der Wirk-
samkeit des Staats“ den Gesichtspunkt, dass die Freiheit nicht die Gleich-
heit, sondern die „Mannigfaltigkeit* zum correlaten Gegenprincip habe, die
Mannigfaltigkeit, welche die Fülle individueller Sonderart nicht durch Läh-
mung der genuinen Selbständigkeit lückenhaft macht, sondern durch deren
spontane Kraft die peripherische Abrundung zu einem geschlossenen Ganzen
schafft.
Dass es aber bei dieser „dritten Periode“ individualisirender Reaction
sich thatsächlich nicht um das handelt, was man ein blosses Theorem rechts-
philosophischer Abstraction nennen könnte, offenbart sich gerade gegen-
wärtig in der sichtbar realsten Weise. Gelegentlich der Ausarbeitung des
neuen bürgerlichen Gesetzbuches hat sich eine so spontane Gegenbewegung
kund gethan, dass man eine Umarbeitung für angezeigt hält. Man konnte
eben an massgebender Stelle nicht verkennen, dass hier eine naturgesetzliche
Nothwendigkeit normaler Entwickelung im Spiel ist. Der neuerwachte
Stimmungszug für die Befriedigung deutschen Rechtsgefühles gegenüber dem
römischen Rechtsbegriff ist ein Zeugniss von elementarer Beweiskraft für die
deutsche Volksseele, die sich zu sammeln beginnt.
Hiermit wären die wesentlichsten Gesichtspunkte erledigt, welche bei
dem Hauptsatze des Autors in Frage kommen. Der Vollständigkeit wegen
sei jedoch noch der Wortlaut desselben gebracht: „Die Variationen der uni-
versellen Rechtsnormen und Rechtsinstitute sammt ihrer universellen Ent-
wicklungsgeschichte, wie sie durch die Eigenart der einzelnen Völker und
ihrer Existenzbedingungen erzeugt werden, haben für sie (ethnologische
Jurisprudenz) keinen selbständigen Werth“, S.7. Nebenbei sei bemerkt, wie
unbefangen Autor hier ein Verfahren proclamirt, das die Logik eine petitio
prineipii nennt. Wie aber Autor, wenn er das, was bewiesen werden soll,
zur Voraussetzung seiner Schlussfolgerungen nimmt, von einem inductiven
Wege seiner Darlegungen sprechen kann, bleibt dem Referenten völlig uner-
findlich. Wenn statt des Theorems einer ethnologischen Jurisprudenz vom
Autor etwa die Hypothese einer kosmologischen oder anthropologischen Juris-
prudenz aufgestellt wäre, so liesse sich des Verfassers Behauptung von der
Werthlosigkeit volksthümlicher „Eigenart“ noch einigermassen als Spiel einer
Ideenassocistion deuten. Aber bei der Idee einer ethnologischen
Jurisprudenz fällt die aprioristische Negirung dessen, was am ethnologischen