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auf dem Punkt anlangen zu wollen, den gerade vor 100 Jahren
das eigenartige System der preussischen Allgemeinen Gerichtsord-
nung mit ihrer stark entwickelten richterlichen Fürsorgepflicht
bezeichnete, nachdem den weitesten Ausschlag nach der anderen
Seite, der Selbstherrlichkeit und Selbstverantwortlichkeit der Par-
teıen, nach Anlehnung an französische Vorbilder und im Gegen-
satz zu der Lehre des älteren gemeinen Rechts?), die deutsche
Civilprocessordnung oder doch die Theorie und die Rechtshand-
habung bewirkte, wie jene sie schuf, und diese sie dann ins
Rechtsleben übersetzte. In solcher Rückkehr zu den alten An-
schauungen zeigt sich wieder, unter einem anderen Bilde ge-
sprochen, der „Spiralgang‘‘ der Culturentwicklung auch auf dem
Rechtsgebiete; es wird damit, wenn auch in aufgeklärterer Art,
auf die früher verworfenen Grundsätze der Processpolitik zurück-
gegriffen, die durch die Irrthümer der überwuchernden ‚Verhand-
lungsmaxime‘“ verdunkelt waren und sich jetzt allmählich durch
den Nebel manchesterlicher Ideen zur Anerkennung wieder durch-
ringen.
Das Problem der staatlichen Fürsorge für das Wohl der
Unterthanen, von dem hier nur eine einzige Seite zur Erscheinung
gelangt, reicht weit über den Bereich des Civilprocesses hinaus.
Es handelt sich dabei freilich nicht mehr allein um den Gegen-
satz, den man durch die Schlagworte „Verhandlungs“- und „Unter-
suchungsmaxime“ bezeichnet, sondern um den je nach der Zeit
und ihren Strömungen verschieden beantworteten Streitpunkt, in-
wieweit die Rechtsordnung die Einzelinteressen nöthigenfalls auch
Schrift über „‚richterliche Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts im
Civilprocesse“ (1888) für eine Reihe der jetzt von der österreichischen Re-
gierung vorgeschlagenen Bestimmungen eingetreten. Von BAEHR ist eine
weitere Abhandlung in der Zeitschrift für Civilprocess zu erwarten. — Ueber
die ferneren Schicksale des österreichischen Entwurfes konnte bei Abschluss
dieser Arbeit noch nicht berichtet werden.
2) J. H. BoEHMER, Exercitationes ad pand. II, Nro. 35, ec. 1$ XI. und
Levser, Meditationes II specimen 120 c. 2.