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seines partikularen Charakters besitzt das bürgerliche Recht Hessens ein über
seine Grenzen reichendes Interesse, indem es dem Beschauer ein Gesammt-
bild der deutschen Rechtsentwicklung überhaupt entrollt. Im Gegensatz zur
Codification anderer Staaten stehen hier mosaikartig noch heute die mannig-
faltigen Sonderquellen nebeneinander: Landesgesetze, Rechtsgesetze, parti-
kulare Rechte des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Einfacher liegen die Ver-
hältnisse nur in der Provinz Rheinhessen. Hier hat die Rechtsprechung
wesentlich mit einer geschlossenen Codification zu rechnen. Alle Partikular-
rechte der älteren Zeit sind aufgehoben. Das römische Recht ist beseitigt.
Bürgerliche Rechtsfragen regeln sich — von den späteren Reichs- und Landes-
gesetzen abgesehen — nach dem Code civil. Die Rechtszerrissenheit des
Grossherzogthums findet ihre Erklärung in der geschichtlichen Entwickelung
des hessischen Landes, — der allmähliche Vereinigung einer grossen Zahl
kleiner Gebiete mit besonderem Rechte — und dem Mangel eines das ge-
sammte Grossherzogthum umfassenden Civilgesetzbuches.
Die interessante, auf reichem Material beruhende Schrift erklärt zu-
nächst den äusserst verwickelten Rechtszustand aus der Territorialgeschichte
(Philipp der Grossmüthige 1509—1567, — Theilung der Herrschaft und des
Landes unter seine Söhne. Vergrösserungen vom 16.—19. Jahrhundert).
Hier anschliessend bietet ein besonderer Abschnitt ($ 3) eine Darstellung
der Geschichte der einzelnen Partikularrechte und schildert die Versuche
der Aufstellung eines einheitlichen bürgerlichen Gesetzbuches. Der Schluss
zieht die Ergebnisse für die Gegenwart und weist die Gültigkeit der einzelnen
Partikularrechte für die hessischen Landestheile nach. Neben dem gemeinen
Rechte gilt in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen „ein trotzig Heer
von Rechten und Gesetzen“, welche vielfach in die vorigen Jahrhunderte zu-
rückgreifen. So die Solmser Landesordnung, das Recht der Burg Friedberg,
das Landrecht der oberen Grafschaft Katzenellenbogen, das Erbacher, Mainzer
und Kurpfälzische Landrecht, Frankfurter und Wimpfener Stadtrecht u. s. w.
So tritt der Wunsch nach einer Vereinigung und Vereinfachung des Rechts
durch ein Reichscivilgesetzbuch gerade für Hessen stärker hervor, als für
viele andere Theile Deutschlands. In dem kleinen Grossherzogthum wird sich
demnächst der Fortschritt der nationalen Rechtsentwicklung und die Wohl-
that eines einheitlichen bürgerlichen Rechtes am deutlichsten fühlbar machen.
Die Arbeit ist deshalb ‚für weitere Kreise von Interesse, nicht nur für
die engsten wissenschaftlichen Fachgenossen des Verfassers bestimmt. Sie
wendet sich an Alle, welche der Rechtsgeschichte Hessens Interesse ent-
gegenbringen, vor Allem an die praktischen Juristen und die Historiker des
Landes. Ihnen sucht sie in grossen Zügen ein Rechtsbild zu entwerfen, die
Umrisse der Rechtsbilder zu zeichnen. Gleichzeitig bemüht sie sich in An-
merkungen das gesammte Material für die Staats- und Rechtsgeschichte ihrer
Heimath zu bieten. Sie druckt die Verträge, durch welche Hessen in den
Jahren .1803, 1806, 1815 und 1866 seinen jetzigen Territorialumfang erreicht