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über dem geschriebenen Öffentlichen Rechte zu. Eine Fülle überraschender
Lösungen der verworrenen Fragen, für deren Beantwortung meist die poli-
tische Constellation massgebend gewesen, bringt SEYDEL auf Grund ein-
gehender Quellenstudien und bekämpft Entscheidungen des Ministeriums und
des Verwaltungsgerichtshofes, wie Ergebnisse der Litteratur. Besonders
rühmende Erwähnung verdient die lichtvolle Besprechung über die Bezieh-
ungen Roms zum modernen Staate (Conkordat und Verfassungsurkunde),
über ihre geschichtliche Entwicklung und die Schwierigkeiten, welche sich
aus der Nothwendigkeit ergaben, in der Vereinbarung mit einer ausländischen
Kirchengewalt die Souveränität des Staates zu wahren. Gegenüber der pro-
testantischen Kirche hatte der Landesherr in Bayern stets nicht nur das jus
circa sacra, sondern auch das jus sacrorum als Ausfluss der Staatsgewalt
gehandhabt. Das Protestantenedikt, das SEYDEL mit Recht als eine nicht sehr
gelungene gesetzgeberische Leistung bezeichnet, hat Veranlassung zu ernsten
Differenzen u. a. über die Stellung des Oberconsistoriums zum Ministerium ge-
geben (S. 253). Nach $ 1 des Edictes ist das Oberconsistorium „selbständig“
und nach $ 18 ]l. c. dem Ministerium „untergeordnet“. Hiezu bemerkt
SEYDEL: „Die Verfassung überträgt mit klaren Worten den obersten Epis-
copat dem ÖOberconsistorium zur Ausübung... .. Wer den obersten Epis-
copat ausübt, der kann in dieser Thätigkeit keinen weiteren Oberen über
sich haben. Das liegt im Begriffe der obersten Gewalt auch da, wo sie
rechtlich übertragene Gewalt ist. Die Unterordnung, von welcher die Ver-
fassung spricht, kann sich also nur auf die Dienstpflicht, sowie auf diejenigen
Fälle heziehen, wo die verfassungsmässige Regel durchbrochen ist... ...
Die staatliche Kirchenhoheit kann dem Öberconsistorium gegenüber nur durch
die höchste Stelle, nicht durch die untergebenen Staatsverwaltungsbehörden
ausgeübt werden ..... Der König hat in der Verfassung eine Reihe von
Gegenständen seiner Entschliessung vorbehalten... .. . Nach dem sehr deut-
lichen Wortlaute der Verfassung ist kein Zweifel, dass hier die kgl. Ent-
scheidung durch das Gutachten des Oberconsistoriums rechtlich nicht be-
schränkt ist. Es hilft nichts, dass mıan dies als einen Widerspruch „gegen
die Fundamentalsätze des protestantischen Kirchenrechtes und die unver-
äusserlichen Rechte der protestantischen Kirche“ erklärt hat. Die Geltung
des bayerischen Staatsrechts ist nicht davon abhängig, ob es mit kirchlichen
Anschauungen im Einklange steht oder nicht“ 8. 253 ff.)
Am schroffsten tritt SevpeL den bisher von Praktikern und Theoretikern
vertretenen Ansichten hinsichtlich der Grundlagen der Kirchengemeinden
und kirchlichen Umlagen entgegen. SEYDEL sagt: „Es bestehen nach dem
Landtagsabschiede vom 28. Mai 1892 — in demselben waren Bestimmungen
über Erhebung von Kirchengemeindeumlagen enthalten — ebensowenig wie
vorher gesetzliche Bestimmungen, durch welche die Kirchengemeinden dies-
seits des Rheins zu Körperschaften des öffentlichen Rechtes oder zu Sub-
jecten des Privatrechtes erklärt wären... ... Die Kirchengemeinden sind