Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zehnter Band. (10)

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äussere Erscheinung eine unbestimmte Pflicht des Gehorsams auf der einen 
Seite, eine unbestimmte Schutzpflicht auf der anderen ist. Wo ein solches 
Verhältniss nicht begründet und von beiden Seiten gar nicht gewollt wird, 
da muss die dargebotene Fähigkeit und der dargebotene Wille, eine bestimmte 
Arbeit zu leisten, nach Art einer veräusserlichen Sache gedacht werden, da 
tritt der Begriff des Kaufes in sein Recht. Und dies ist bei den meisten jener 
alten Verträge durch ihre eigene Entwicklung unter dem Einflusse der that- 
sächlichen Lebensverhältnisse, und ist bei den neuen, an Umfang und Be- 
deutung jene schon weit überragenden, Arbeitsverträgen ihrem ganzen Wesen 
nach der Fall. Der Arbeiter will und soll — auch nach dem Willen des Gegen- 
contrahenten — frei bleiben, der gewerbliche Arbeiter gleich dem der auf 
dem Lande sehr scharf von dem contractlich — d.h. in der Regel wenig- 
stens auf Jahresfristt — gebundenen Arbeiter als freier Tagelöhner 
unterschieden wird. Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches kennt — 
auch nach der zweiten Lesung — den modernen Arbeitsvertrag nicht; er 
kennt nur Dienstverträge, deren Begriff freilich so sehr als möglich jenem 
Begriffe genähert wird. Wenn aber dieser construirt wird als das wofür ihn 
jeder politische Oeconom ansieht, $c. als Kauf, so folgt etwas sehr wich- 
tiges: nämlich die rechtliche Nichtigkeit aller Kündigungen. Kündigung hat 
nur einen Sinn für Vermiethungen, daher für Dienstverträge, aber nicht für 
Verkäufe. Niemand ist rechtlich verbunden eine Geschäftsfreundschaft oder 
Kundschaft zu kündigen; wenn die Arbeitskraft auf die Zeit einer Woche 
verkauft und bezahlt oder — wie der hiefür inadäquate Ausdruck lautet — 
entlohnt wird, so folgt, dass nach Ablauf jeder Woche beide Contrahenten 
frei sind, ilren Vertrag zu erneuern (ausdrücklich oder stillschweigend) oder 
nicht zu erneuern. Diese und andere Üonsequenzen des reinen Arbeitvertrages 
stellen die Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen Arbeitern und Unter- 
nehmern wieder her, die von jenen durch „Contractbruch“, den sie als solchen 
gar nicht verstehen (vgl. diese Schrift S. 84f.), verletzt wird, von diesen 
aber verhöhnt wird, indem sie die Lasten des Dienstvertrages ablehnen, 
und seine Vortheile für sich behalten wollen!. Dieses mit zwiefachem Maase 
! Sehr deutlich trat die Denkungsart des Unternehmerthums in einer 
Kritik hervor, die der Verein zur Wahrung der wirthschaftlichen Interessen 
von Handel und Gewerbe an der Novelle zur Gewerbeordnung übte, worin 
er mit besonderer Bitterkeit die Bestimmung denuncirte, wonach den Ar- 
beitern, bzw. den Arbeiterausschüssen „Gelegenheit gegeben werden soll, sich 
über die Arbeitsordnungen zu äussern“. „Kurz“ — heisst es zum Schlusse — 
„der Arbeiter soll durch dieses ihm gewährte Recht dem Arbeitgeber gegen- 
über auf die Stufe der Gleichberechtigung gestellt werden, die vor Ab- 
schluss des Arbeitsvertrages auch bisher vollkommen vorhanden und an- 
erkennt war, die aber nach Thätigung jenes Vertrages unzu- 
lässig und nur als eine Ebnung derjenigen Wege zu betrachten ist, auf denen
	        
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