— 202 —
anderes gesagt, als dass ein Verzicht auf das Recht, Einholung
des Placet zu verlangen, dann unzulässig ist, wenn sich im gelten-
den bayerischen Kirchenstaatsrechte kein Rechtssatz findet, der
ihn gestattet. Ein solcher Rechtssatz ist aber im geltenden
Kirchenstaatsrechte weder ausdrücklich enthalten, noch ist er, wie
diese Untersuchung ergeben wird, aus dessen Bestimmungen
wissenschaftlich abzuleiten.
Vergleich mit dem recursus ab abusu.
Zur Beantwortung der zu lösenden Frage dient eine Be-
trachtung des den recursus ab abusu enthaltenden 8 52 des
Religionsediktes im Zusammenhalt mit 8 58 desselben.
& 52 des Religionsediktes lautet:
„Es steht aber auch den Genossen einer Kirchengesellschaft,
welche durch Handlungen der geistlichen Gewalt gegen die fest-
gesetzte Ordnung beschwert werden, die Befugniss zu, dagegen
den Königlichen Landesfürstlichen Schutz anzurufen“.
Diesen Rekurs kann das Iudividuum auch gegen Publikation
und Exequirung einer unplacetirten kirchlichen Anordnung, wenn
es dadurch beschwert wird, einlegen: Die Vorschrift des 8 58
des Religionsediktes über das placetum regium gehört zur fest-
gesetzten Ordnung im Sinne des & 52. Kann nun die Staats-
gewalt in einem einzelnen Falle auf ihr Recht, die Einholung des
Placet zu verlangen, Verzicht leisten und thut sie das, so ist für
diesen besonderen Fall die Vorschrift, dass zur Verkündung und
Vollziehung kirchlicher Gesetze das Placet eingeholt werden
müsse, nicht vorhanden, sie gehört in diesem Falle nicht zur fest-
gesetzten Ordnung, wir gelangen also zu der absurden Konse-
quenz, dass die Staatsgewalt, d.h. der Monarch unter Gegen-
zeichnung des Ministeriums das eigenthümliche Recht hätte, die
„festgesetzte Ordnung“ anzutasten, ein Gesetz und noch dazu ein
kann aber auch durch Aufhebung dieses Rechtssatzes zur Pflicht gemacht
werden, wie dies neuerdings in Belgien geschah.