— 258 —
Sie wird gleichzeitig den Beweis liefern, dass im Interesse der
Einheitlichkeit der Erlass eines das V.ereins- und Versammlungs-
wesen ordnenden Reichsgesetzes in hohem Grade wünschenswerth
erscheint.
A. Versammlungsrecht.
1. Preussen. Art. 29 der Verfassungsurkunde vom 31. Jan.
1850, welcher alle älteren Spezialgesetze und beschränkenden Be-
stimmungen aufhob, erklärt: „Alle Preussen sind berechtigt, sich
ohne vorgängige Erlaubniss friedlich und ohne Waffen in ge-
schlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht
sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in
Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniss der Verfügung
des Gesetzes unterworfen sind“ ?°,
Die Garantie dieses freien Versammlungsrechtes enthält die
Verfassung im Prinzip für jeden preussischen Unterthan; nur
Militärpersonen, Frauen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Ver-
sammlungen und Sitzungen politischer Vereine nicht beiwohnen
(Verordnung vom 11. März 1850). Zweifellos bezieht sich Art. 29
nicht auf Vereinigungen im civilrechtlichen Sinne und zu ge-
selligen Zwecken, welche nie einer Aufsicht oder Einschränkung
aus Grundsätzen des Vereinsrechts (nur der Gesundheits-, Ord-
nungs- u. s. w. Polizei) unterliegen. Dem Vereinsrechte der
Art. 29, 30 unterliegen nur solche Zusammenkünfte, deren Zweck
die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten. Eine obrigkeitliche
Erlaubniss ist nicht einzuholen, daher auch ein vorgängiges Verbot
der Versammlung in geschlossenen Räumen aus rersammlungs-
rechtlichen (politischen) Gründen, nicht zulässig, jedoch ein
solches aus rein polizeilichen Gründen (Bau-, Gesundheits-
Verkehrspolizei u. s. w.)?!. Die Verfassung fordert als erste
2° Reichs-G. E. v. 1. Mai 1882 u. 22. Sept. 1890, VI, 217 u. XXT, 71.
MASCHER, 1. c. S. 14.
?! S. Dr. E. Bart, Das Vereins- und Versamml.-Recht in Deutschland.
Berlin, 1894, S. 28, 29.