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fassungsänderungsverbots gar keiner nähern Untersuchung, sie alle
gehen von der stillschweigenden Annahme aus, dass ein derartiges
Verbot völlig rechtsverbindlich sei.
Erst in jüngster Zeit haben einige Autoren auf den Gesichts-
punkt hingewiesen, dass ein Verfassungsänderungsverbot überhaupt
keine Geltung habe.
Vertreter dieser Ansicht®! sindHAnkE®, KOHLER®®, PETERS ®%,
v. SEYDEL®® und einige andere.
Letztere Anschauung verdient m. E. den Vorzug, sie trifft
das Richtige; denn der Gesetzgeber der Gegenwart kann den
Gesetzgeber der Zukunft nicht binden. Ich stimme hier vollkommen
den Ausführungen KOHLER’S zu, der sich über diesen Punkt a. a. O.
in folgender Weise ausspricht:
„Kein Gesetzgeber kann die gesetzgeberische Kraft der
Zukunft unterbinden; denn es gibt kein absolutes Gutes in der
Rechtsordnung:
Was für die eine Zeit vortrefflich, ist für die andere Zeit
ein unerträgliches Hemmniss. Das Recht ist eine Culturerschei-
nung, welche vollkommen den Aspect der gegenwärtigen Uultur-
periode wiedergibt und welche mit Aenderung der Oultur wechseln,
mit Untergang der Oultur mituntergehen muss:
Wie alle geistigen Dinge, so ist auch das Recht in stetem
Fluss und die organisirende Gewalt des Rechts, die Gesetz-
gebung, muss die Mittel besitzen, dem jeweiligen Zuge der
Rechtsideen zu folgen, wenn sie überhaupt ihre Aufgabe erfüllen
will.
Unzulässig ist sowohl eine Bindung des Gesetzgebers für immer
als auch eine solche auf Zeit. Unzulässig ist daher auch ein an
61 cf. hieher auch EiseLe, Unverbindlicher Gesetzesinhalt im Archiv
f. civil. Praxis, Bd. 69, Jahrg. 1885, Nr. VII, 8. 275.
6° HınKE a. a. O. S. Adf.
68 KoHLER a. a. 0. S. 1fl.
%4 PETERS a. a. O. 8.51.
65 SeypeL, Das Staatsrecht des Königreichs Bayern, 8. 36f.