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sonders gefördert wurde, durch mehrere gesetzgeberische Akte thatsächlich
bereits bejaht worden sei, namentlich durch das Gesetz vom 26. Okt. 1887,
welches trotz des Titels einer authentischen Auslegung nichts anderes als ein
Verfassungsänderungsgesetz ist. Freilich unterscheidet SEYDEL zwischen Un-
zulässigkeit und Unmöglichkeit der Verfassungsänderung, so dass damit der
ganze Gegenstand der juristischen Deduktion entrückt und dem Gebiete der
Politik anheimgegeben wird (s. auch SEYDEL in Blätter für administrative
Praxis, Bd. 45, 8. 6ft.).
Erklärlicher Weise gibt ein Handbuch des bayerischen Staatsrechts
nicht den Raum zu einer eindringenden Würdigung des Verhältnisses Bayerns
zum Deutschen Reiche; dasselbe konnte denn auch in dem vorliegenden
Werke nur an einigen wenigen Stellen berührt werden. Wenngleich die be-
kannte, gänzlich selbständige, übrigens wohlbegründete Auffassung SEYDEL’S
in dem „Kommentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich“ (1873)
und in den „staatsrechtlichen und politischen Abhandlungen“ (1893), sowie
in mehrfachen kleineren Arbeiten des.Näheren ausgeführt ist, so muss doch
dem Wunsche Ausdruck verliehen werden, dass der Verfasser seinem monu-
mentalen Werke über bayerisches Staatsrecht auch eine zusammenfassende
und erschöpfende Darstellung des deutschen Staatsrechts beigesellen möge.
Entstehung und Entwicklung des jungen Reiches bieten ja für die Staats-
rechtswissenschaft manch’ schwieriges, der Konstruktion nahezu unzugäng-
liches Problem, und unbeschadet der Macht der Thatsachen ist auch das
Völkerrecht darüber noch nicht einig geworden, unter welche der alther-
gebrachten Eintheilungen das neue Staatengebilde zu rechnen sei. Die Frage
freilich wird selten genug aufgeworfen, ob diese Schablonen Angesichts der
veränderten politischen Ideen und des Umschwunges im Völkerleben über-
haupt noch ein anderes als ein wesentlich historisches Interesse zu bean-
spruchen haben. Scheut man sich doch nicht, die Vereinigten Staaten von
Nordamerika, die Schweiz und das Deutsche Reich unter einen Begriff zu
bringen oder richtiger zu zwingen, obwohl die inneren Verschiedenheiten
zwischen diesen sogenannten „Bundesstaaten“ so gross sind, dass die Unzu-
länglichkeit der gedachten Kategorie eigentlich ausser allem Streite sein sollte.
Unter den Lehrern nun, welche es unternommen haben, den kunst-
vollen, aber vielfach verworrenen und unvollendeten Verfassungsbau des
Deutschen Reiches klarzustellen, nimmt LABanD anerkannt eine führende Stel-
lung ein, für welche auch die angezeigte neue Auflage seines deutschen Staats-
rechts vollen Beweis erbringt.
Nach LasBann ist das Reich ein Rechtssubjekt, ein verfassungsmässig‘
organisirter, korporativer Staatenstaat, dessen Centralgewalt souverän ist,
während die Einzelstaaten eigentlich mediatisirt, genauer: zwar noch Staaten
mit Unterthanen sind, aber ihre Souveränität eingebüsst haben. Diese Ansicht
hat gewiss Vieles für sich, sofern es sich um rein logische Folgerungen aus
Begriffen handelt, welche freilich zum Zwecke der Konstruktion erst auf-
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