Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zehnter Band. (10)

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Die Streitfrage gehört eigentlich vor das Forum des Völkerrechts und 
die historischen Thatsachen haben dortselbst auch schon mehrfach Kritik 
erfahren (s. CaLvo, Le droit international public., 4. Aufl., Bd. IV, S. 212f.). 
So viel ist sicher, dass es sich bei Annahme der Ansicht von LABAnD um 
eine höchst eigenthümliche Art der Stellvertretung handeln würde, welche 
weder auf dem Willen des Vertretenen beruhte, noch auch schwerlich in der 
Absicht des Vertreters gelegen war. Die Behauptung, es sei schon seit dem 
14. Aug. 1870 die deutsche Staatsgewalt ausgeübt worden, ist selbstverständ- 
lich von ungewöhnlicher juristischer Kühnheit, sobald man diese Staatsgewalt 
mit der in Folge der Reichsverfassung ins Leben getretenen identifizirt; sie 
kann aber wohl begründet erscheinen, wenn man nicht ausser Acht lässt, 
dass schon mit Beginn des Krieges ein völkerrechtliches Band die deutschen 
Staaten geeinigt hat und folglich auch eine Vertretung dieser verbündeten 
Staaten und eine Ausübung von Hoheitsrechten in ihrem Namen durchaus 
nichts Unnatürliches an sich hat. Dass das damalige Zwischenstadium der 
Bundesstaatentheorie in der Erklärung Schwierigkeiten bereitet, kann nicht 
geleugnet werden; allein die Eventualität der Rückgängigmachung der Okku- 
pation bildet möglicher Weise für den Okkupanten wohl ein starkes Motiv 
in seinen Anordnungen, so dass er in ihnen sogar das Interesse des bisherigen 
Souveräns wahren kann; dieser Umstand vermag aber die Thatsache nicht 
aus der Welt zu schaffen, dass es immer nur Regierungshandlungen des Okku- 
panten selbst sind und dass zwei Souveränitäten auf einem und demselben 
Territorium unmöglich neben einander bestehen können. 
Leoxı behauptet ferner, durch das Reichsgesetz vom 9. Juni 1871, 
durch die Uebertragung der Ausübung der Staatsgewalt an den Kaiser sei 
Elsass-Lothringen zu einem besonderen Staatswesen erhoben worden, zur 
Sicherung einer deutsch-nationalen Entwicklung des Landes seien jedoch die 
eigenen Organe des Reiches mit den Regierungsrechten ausgestattet und die 
konstitutionelle Ausbildung der Landesverfassung der Entscheidung des 
Reiches vorbehalten worden. Dem Beweise für diese These sind namentlich 
die Ausführungen über die besondere Staatsangehörigkeit, die Stellung der 
Landesbeamten und die Bedeutung der Landesgesetzgebung gewidmet. 
LABanD hingegen hält daran fest, dass es in Elsass-Lothringen an einem 
von der Rechtspersönlichkeit des Reiches verschiedenen Subjekte der Staats- 
gewalt fehle und daher die unter letzterem Wort bezeichnete Summe von 
Hoheitsrechten eben ‚eine Machtbefugniss des Reiches sein müsse, also das 
Reichsland kein Staat sei. 
Auch hier dreht sich, wie man sieht, der Streit um Fragen und Be- 
griffe des allgemeinen Staatsrechts und wiederholt sich die Misslichkeit, ein 
eigenthümliches, in der Geschichte der neueren Zeit einzig und ohne Beispiel 
dastehendes politisches Gemeinwesen einer allgemeinen Rechtskategorie unter- 
zuordnen. Die letztgedachte, übrigens fast ganz allgemein angenommene 
Theorie hat gegenüber der Einführung des Reichsgesetzes über die Erwerbung
	        
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