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die Reinhaltung des richterlichen Ehrenschildes, nöthigenfalls durch Ent-
fernung unwürdiger oder unfähig gewordener Mitglieder, noch auch den Schutz
der richterlichen Unabhängigkeit erreicht, sondern den Richter in Wirklich-
keit weit abhängiger gestellt, als jeden Verwaltungsbeamten, ihn der Autorität
der Vorgesetzten und der Disziplinargerichte unterworfen und damit eine
Zurücksetzung des Richteramtes andern Berufsständen gegenüber bewirkt.
Es lässt sich nicht verkennen, dass die vom Verf. mitgetheilten Dis-
ziplinarfälle, wenn auch ihre Einzelheiten schwerlich kontrolirbar sind, zum
mindesten beweisen, dass das mehrerwähnte Gesetz eine getährliche Waffe
ist, deren Handhabung in den betheiligten Kreisen ein hohes Mass von all-
seitiger Unabhängigkeit und einsichtsvoller Besonnenheit erheischt, soll sie
nicht zum Nachtheile des ganzen Richterstandes ausschlagen.
Der Forderung des Verf. nach Herstellung und gesetzlicher Sicherung
vollständigster Unabhängigkeit des Richters, besonders den Vorgesetzten
gegenüber, natürlich nur innerhalb des eigentlichen Richteramtes, muss
sicherlich beigestimmt werden. Von seinen Reformvorschlägen vermag das
Verlangen nach Aufhebung der Justizhoheit der Einzelstaaten und nach Aus-
übung der Rechtsprechung im Namen des Reichs weniger zu befriedigen ;
von anderen staats- und verfassungsrechtlichen Bedenken abgesehen, haben
die Bundesstaaten kaum Anlass, auch hier die erfahrungsgemäss grosse Ge-
fahr einer reichsrechtlichen Verböserung ihres bisherigen Rechtszustandes
heraufzubeschwören. Dagegen kann man sich eher einverstanden erklären
mit der gewünschten Trennung der Staatsanwaltskarriere von der richter-
lichen, wenn sie auch nur mit vielen Schwierigkeiten durchführbar wäre,
ebenso mit einer den jetzigen Zeitverhältnissen entsprechenden Regelung der
Gehaltsfrage, wobei hauptsächlich das Prinzip der Progressivsteigerung der
Gehälter zu beseitigen sein dürfte. Auch die Streichung der Strafe des
Pensionsverlustes ist zu billigen, schon aus dem Grunde, weil die Pension
nichts anderes als einen bereits verdienten, aber für die Zeit der Dienst-
unfähigkeit einbehaltenen Gehaltstheil darstellt.
Nach SEIDLER soll jeder Richter als gleichberechtigt mit seinem Vor-
gesetzten behandelt werden; die Aufsicht darf schlechterdings keinen Einfluss
auf das Wie der richterlichen Thätigkeit haben; das Belehren und das Aus-
legen der Gesetze durch höher gestellte Beamte mit dem amtlichen Ansinnen,
dass der Richter sich darnach achte, müsse unterbleiben. Ebenso soll das
Rügerecht wegfallen; an dessen Stelle tritt bei ordnungswidriger, nicht recht-
zeitiger oder nicht sachgemässer Ausführung eines Amtsgeschäftes eine Er-
innerung des vorgesetzten Präsidiums, während als Disziplinarstrafen über-
haupt nur Warnung, im Wiederholungsfall durch Geldstrafen verschärft und
Dienstentlassung als zulässig erachtet werden. Das Disziplinarverfahren
endlich sollte unter Ausschluss einer Parteistellung der Staatsanwaltschaft
dahin abgeändert werden, dass für jedes Dienstvergehen ein aus Land- und
Amtsrichtern gebildeter Ehrenrath eines benachbarten Oberlandesgerichts-