Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zehnter Band. (10)

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zu verwerthen. Den Weg hierzu geebnet zu haben, ist das unbestreitbare 
Verdienst des Verfassers, welcher in der vorliegenden Schrift an der Hand 
eines umfassenden, mühsam gesammelten statistischen Materials und auf 
Grund seiner eigenen in England gewonnenen Anschauung die Vorzüge 
und Mängel der verschiedenen Systeme der englischen Zwangserziehung 
aufdeckt. 
Die Einleitung und die ersten drei Kapitel dienen der Abgrenzung der 
Zwangserziehung von gewissen Nachbargebieten: sie behandeln das Verhält- 
niss zwischen Freiheitsstrafe und Zwangserziehung, die elterlichen Erhaltungs- 
und Erziehungspflichten, die Erziehung der Armenkinder und die Bestrafung 
der verbrecherischen Jugend. Im IV. Kapitel („Geschichte der Zwangs- 
erziehung“) schildert der Verfasser einerseits die Bestrebungen der philan- 
thropischen Privatgesellschaften und die auf dem Gebiete der Jugendpflege 
bahnbrechende literarische und. praktische Wirksamkeit der Miss Mary 
Carpenter (1807—1877), andrerseits den Gang der Gesetzgebung. Das 
V. Kapitel bringt die schon erwähnte Nachweisung über den Einfluss der 
Zwangserziehung auf das Verbrecherthum in Form von Tabellen. Erst mit 
dem VI. Kapitel beginnt die Darstellung des geltenden Zwangserziehungs- 
rechts. Die Ueberschrift dieses Kapitels „Zulässigkeit der Zwangserziehung“ 
ist zu eng; denn es behandelt ausser den materiellen Voraussetzungen der 
Zwangserziehung auch die Zuständigkeit der zur Entscheidung berufenen 
Behörden, das Verfahren, die Anhaltungsdauer. Dass hier auch die Arten 
der Erziehungsanstalten (Reformatory Schools und Industrial Schools mit 
ihren Abkömmlingen, den Day Industrial und Truant Schools) behandelt 
werden, hat darin seinen Grund, dass in England — im Gegensatze zu den 
in Deutschland geltenden partikulären Zwangserziehungsgesetzen — die ma- 
teriellen Voraussetzungen der Unterbringung und die Arten der Erziehungs- 
anstalten sich gegenseitig bedingen. In Deutschland bestimmen die Gesetze 
nur die Voraussetzungen, unter denen ein Kind überhaupt zur Zwangs- 
erziehung unterzubringen ist; die Frage, wo es unterzubringen sei, ist eine 
sekundäre, nicht vom Richter, sondern von der Verwaltungsbehörde zu ent- 
scheidende. In England dagegen sind die gesetzlichen Voraussetzungen der 
Unterbringung in eine Reformatory School ganz verschieden von denjenigen 
der Unterbringung in eine Industrial School. Diese sehr detaillirten Voraus- 
setzungen der englischen Zwangserziehung zu einem Prinzip zusammenzu- 
fassen, ist der Zweck des im $ 4 des VI. Kapitels gegebenen „Ueberblicks“. 
Das VII. Kapitel behandelt die Organisation der Zwangserziehung, ins- 
besondere die Organisationsprinzipien, die ebenfalls von den in Deutschland, 
insbesondere in Preussen geltenden erheblich abweichen, da hier in erster 
Reihe die öffentlichen Kommunal-(Provinzial)Verbände, in England dagegen 
Privatgesellschaften die Gründung und Verwaltung von Erziehungsanstalten 
übernehmen. Die bedeutendste dieser Gesellschaften ist die „Reformatory 
and Refuge Union“, zu welcher 1891 nicht weniger als 676 Anstalten mit
	        
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