— 495 ° —
Die der neuen Haftungstheorie gegenüber einzunehmende Stellung hängt
im Wesentlichen davon ab, ob man die allgemeine Durchführung des dem
Prinzip der „Kriminellen Garantie“ feindlich gegenüberstehenden Grundsatzes
„Ohne Schuld keine Strafe“ für wünschenswerth und nothwendig hält oder nicht.
Im ersteren Fall wird man mit dem Referenten die Theorie OETKERSs, trotz ihrer
juristisch-feinsinnigen Konstruktion, als eine den Bedürfnissen der Rechtsent-
wickelung entsprechende nicht erachten können. Calker.
F. Endemann, Die Rechtswirkungen der Ablehnung einer Opera-
tion seitens des körperlich Verletzten. Berlin, ©. Heymann,
1893.
Den Ausgangspunkt der Abhandlung bildet folgender Fall: „Bei einem
Betriebsunfalle hatte ein Arbeiter eine Verletzung erlitten, die in ihrem
weiteren Krankheitsverlaufe den sog. grauen Staar hervorrief. Nun lag er
in der Universitäts-Augenklinik, alle Bedingungen zur Staaroperation waren
erfüllt: kein Zureden aber vermochte den Arbeiter zu bewegen, die Vor-
nahme der Operation zu gestatten. Er will lieber blind sein und die Un-
fallrente geniessen, als mit dem Augenlichte die Arbeitsfähigkeit wieder-
erlangen.“
Dieser Fall veranlasst den Verf., die Frage aufzuwerfen: Ist der
Verletzte verpflichtet, sich einer Operation zu unterwerfen?
Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es, da spezielle gesetzliche Vor-
schriften fehlen, einer Untersuchung der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“
insoweit aus ihnen für die gestellte Aufgabe zweckdienliche Gesichtspunkte
gewonnen werden können.
Es liegt nahe, den Anspruch eines Verletzten, der sich, wie im oben
gegebenen Beispiele geschehen, weigert, eine nothwendige Operation an sich
vornehmen zu lassen, zunächst mit der Begründung abzuweisen, dass man
sagt: Wer durch die Operation arbeitstüchtig werden kann, der ist nicht
arbeitsunfähig. Denn nicht durch den Unfall selbst, sondern vielmehr durch
die Schuld des Verletzten wird hier der Zustand der Arbeitsuntähigkeit
geschaffen. Es fehlt also an dem Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfall und der Arbeitsunfähigkeit.
E. weist eine derartige Beweisführung zurück durch eine feinsinnige
Untersuchung über den Kausalzusammenhang und seine Unterbrechung, ins-
besondere seine Unterbrechung durch Unterlassung, die ihn zu dem Resultat
führt: Unterlassungen unterbrechen allgemein den Kausalzusammenhang nicht,
folglich unterbricht auch die Unterlassung der Operation den Kausalzusam-
menhang nicht (8. 47).
Ist die Begründung der Verpflichtung aus den bisher gegebenen Ge-
sichtspunkten somit unzulässig, so lässt sich vielleicht der Satz aufstellen: „es
ist unbillig vom Verletzten, die an sich begründeten Schadensersatzansprüche