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entgegengesetzt. Es versteht sich, dass in der Wirklichkeit viele Zwischen-
stufen vorkommen. Die Grenzpunkte sind bezeichnet: dort durch den Fall,
dass das Mittel noch angenehmer ist, als der Zweck, dieser geradezu Neben-
sache ist; regelmässig bei allem Sport, wirthschaftlich am deutlichsten bei
der Jagd, wenn von grossen Herren aus Liebhaberei betrieben; oft eine
höchst mühsame Anstrengung um Güter zu gewinnen, die man ohne alle
Mühe, ja mit geringerem Geldaufwande, auf dem Markte kaufen lassen kann.
Auf der anderen Seite der Fall, dass die hohe Erwünschtheit des Zweckes
jedes Mittel recht sein lässt, auch das unangenehmste und moralisch wider-
liche; wie im Allgemeinen die Aussicht auf grenzenlosen Gewinn alle Wider-
stände des Gemüthes und Gewissens zu Boden wirft. — Auch A. WAGNER,
der die „Motive im wirthschaftlichen Handeln“ in der dritten Auflage seiner
Grundlegung (die dem Verfasser noch nicht vorgelegen hat) einer sehr ein-
gehenden Analyse unterwirft, stellt seine vier egoistischen „Leitmotive* zu
äusserlich neben einander und das einzige unegoistische ihnen gegenüber. —
Sehr grosse Einwände hätte ich auch zu dem Kapitel PaıLippovicH’s über
Gesellschaft und Staat, das ganz im Ideenkreise L. Stem’s verharrt, zu er-
heben. Ich schliesse aber mit dem Wunsche, dass das sorgfältige, gründ-
liche Werk sorgfältig und gründlich studirt werden möge: für den Anfänger
— der nicht bloss schwatzen lernen will — giebt es nichts Besseres, für den
Kundigen ist es ein ausgezeichnetes Kompendium, überall anregend.
Ferdinand Tönnies.
Dr. Albert Knittel, „Beiträge zur Geschichte des deutschen Ge-
nossenschaftswesens“. Freiburg i. B. und Leipzig, Akademische
- Verlagsbuchhandlung von J. ©. B. Mohr, 1895. S. VI und 124.
Die genossenschaftliche Literatur ist seit einigen Jahren erheblich reich-
haltiger geworden, das Genossenschaftswesen wird auch in den nicht genossen-
schaftlichen Kreisen zum Gegenstande von Spezialstudien gemacht. Der
Verfasser der vorliegenden Arbeit hat sich, wie er mittheilt, auf Anregung
von Professor BRENTAno mit dem Studium der gewerblichen — nicht der
landwirthschaftlichen — Genossenschaften befasst, er hat zu diesem Zweck
nicht blos die Literatur durchgearbeitet, sondern auch in der Praxis der Ge-
nossenschaften Umschau gehalten, Kongresse der Genossenschaften besucht,
bei Genossenschaften an Ort und Stelle Erkundigungen eingezogen. Der Ver-
fasser giebt dem Werke seines eifrigen Fleisses und Studiums den Titel „Bei-
träge zur Geschichte des deutschen Glenossenschaftswesens“, und die einzelnen
Abschnitte enthalten auch thatsächlich nur „Beiträge“, die Darstellung ist
zuweilen eine nur skizzenhafte und man empfüngt den Eindruck, als wenn
der Verfasser nur einen Auszug seiner Arbeit veröffentlicht hätte.
Die Kxrttei’sche Schreibweise ist flott, hier und da sogar drastisch, er
hat sich bemüht, die Natur und die Schicksale der Genossenschaften kennen