_ vv _
dies allerdings daran, dass die historischen und sozialen Vor-
bedingungen andere waren, als in den romanischen Staaten.
Die richtige Erkenntnis hierfür eröffnet und damit die Reform
der deutschen Verwaltung angebahnt zu haben, ist aber das un-
vergängliche Verdienst von GrNEIST.
Es war wiederum nicht das wissenschaftliche, sondern das
politische Bedürfnis, das den Romanisten auf das Gebiet des
Staatsrechtes, den Deutschen auf das Studium des englischen
Rechts führte. Das Ergebnis waren aber Werke von grund-
legender wissenschaftlicher Bedeutung, durch die er nicht nur
dem Kontinente, sondern, wie die Glückwunschadressen englischer
Universitäten bei seinem 50jährigen Doktorjubiläum dankbar an-
erkannten, zum Teil auch den Engländern selbst erst die richtige
Erkenntnis englischen Staatsrechts eröffnet hat.
Das Ergebnis seiner Forschungen verwertete er zunächst
in seinen Vorlesungen. Im Jahre 1853 erschien zuerst eine kleine
Schrift über „Adel und Ritterschaft in England“. Ihr folgte das
grosse Hauptwerk, die „Darstellung des heutigen englischen Ver-
fassungs- und Verwaltungsrechtes“, wovon 1857 der erste, 1860
der zweite Hauptteil erschien. Das Werk hat später, in drei
selbständige Werke, die englische Verfassungsgeschichte, das eng-
lische Verwaltungsrecht der Gegenwart und Selfgovernment,
Kommunalverfassung und Verwaltungsgerichte in England, zer-
legt, im Ganzen drei Auflagen erfahren.
Der politische und wissenschaftliche Einfluss des Werkes war
ein gewaltiger. Während sich bisher die liberale Partei mit ihrer
Forderung nach möglichst ausgedehnten Verwaltungsbefugnissen
für gewählte Kommunalvertretungen und die konservative mit
ihrem Verlangen nach Aufrechterhaltung der gutsobrigkeitlichen
Gewalt in gleicher Weise auf England berufen hatte, sah man
hier das englische Staatswesen vor sich in seiner allerkonkretesten
Gestalt. Nicht die Verwirklichung der einen oder der anderen
Parteidoktrin in der Verwaltungsgesetzgebung, nicht die Hand-