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Erst als nach den grossen Kriegen Preussen an die Re-
organisation seiner zum Teil patrimonialen und neuständischen,
im wesentlichen aber bureaukratischen Verwaltung herantrat,
konnten die Ergebnisse von GNEISTs wissenschaftlichen Unter-
suchungen auf praktische Verwirklichung hoffen. Er wurde nicht
müde, die politischen Resultate seiner grossen Werke in kleineren
Schriften allgemeiner zugänglich zu machen. Vielmehr erachtete
er es selbst für eine wesentliche Aufgabe des Publizisten, durch
stete Wiederholung seiner Ansichten sie in Fleisch und Blut der
(rebildeten übergehen zu lassen. Diesem Bestreben verdanken
namentlich seine Schriften über „Verwaltung, Justiz, Rechtsweg,
Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und
deutschen Verhältnissen* (1869), die „preussische Kreisordnung“
(1870) und den „Rechtsstaat“ (1872, 2. Aufl. 1879) ibre Ent-
stehung.
Niemals konnte aber auch die Verwirklichung der GNEIsT-
schen Ideen einen günstigeren Boden finden als gerade in den
siebziger Jahren. Er war damals in der That der rechte Mann
für die rechte Zeit. Die Monarchie verdankte ihren Erfolgen
einen Nimbus und eine moralische Stärke, wie sie nur selten und
auch dann nur vorübergehend errungen werden kann. Bestand
die Selbstverwaltung nicht in Herrschaftsrechten einzelner Gesell-
schaftsklassen, sondern in ihrem Dienste für den Staat, so war
diese Monarchie wie keine im Stande, den Versuch einer Be-
herrschung des Staates durch die Gesellschaft abzulehnen und
vielmehr dieser den Dienst für den Staat aufzuerlegen. Der
scharfe Gegensatz zwischen der Grundaristokratie, die bisher in
patrimonialer Weise das flache Land des Ostens beherrscht hatte,
und dem liberalen Kapitalismus der Städte und der westlichen
Provinzen liess überdies ein Einverständnis der verschiedenen
Parteien und Gesellschaftsklassen über einen bestimmten Modus
der Beherrschung des Staates ausgeschlossen erscheinen. Einen
Einigungspunkt konnten sie nur finden in dem persönlichen Dienste