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Vertrage (lex contractus) zwischen der Eisenbahn und dem
Publikum?°.
Mit der Vermehrung der Bahnen und dem Wachsen ihres
Zusammenhangs ergab sich mehr und mehr das Bedürtniss einer
gewissen Uebereinstimmung dieser Betriebs-Reglements, zumal es
bis zum Anfang der 1860er Jahre an einheitlichen handelsgesetz-
lichen Bestimmungen für Deutschland mangelte. Diesem Bedürfnisse
ist durch den „Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen“
in zweckmässigster Weise entsprochen worden®. Hervorgegangen
aus dem am 10. Nov. 1846 gegründeten und ursprünglich andere
5 H.-G.-B. Art. 423, insbesondere die Worte „durch Verträge (mittelst
Reglements oder durch besondere Uebereinkunft)“. Vgl. auch unten No.7.
Schon vor dem Bestehen des Allgemeinen Deutschen Handels-
gesetzbuches hat diese Theorie geherrscht. Siehe namentlich W. Koch,
Deutschlands Eisenbahnen (1860), II S. 122 Anm. 3, 142ff. und die Ausfüh-
rungen von GOLDSCHMIDT, in dessen Zeitschrift, Bd. IV (1861), S. 591.
Hiernach sind die Betriebsreglements der Eisenbahnen nicht, wie THöL
in seinem Handelsrecht III, S. 90, anzunehmen scheint, Vertragsofferte
(s. indess seine handelsrechtlichen Erörterungen S. 29/30), auch nicht — wie
EsER, Das deutsche Frachtrecht, 2. Aufl., III S. 198 meint — Aufforderungen
zu Vertragsofferten, sondern Ankündigungen allgemeiner Bedingungen, unter
welchen die Eisenbahn sich bereit erklärt, Frachtverträge abzuschliessen.
Dies ist auch der Standpunkt der Praxis. So hat namentlich das Reichs-
oberhandelsgericht, I. Sen., durch Erkenntniss vom 12. Nov. 1872 (Entsc h
Bd. 8, S. 28) ausgesprochen, dass das Vereinsgüterreglement vom 1. März 1865
als eine Vertragsnorm zu betrachten sei, deren Auslegung sich der Kritik
des Nichtigkeitsrichters entziehe. Vgl. auch unten Nr. 7 bei Anm. 42.
® Ueber die Thätigkeit des Vereins, auch nach anderen Seiten, finden
sich ausführliche Mittheilungen in der seit 1. Juli 1861 zu Leipzig und vom
1. Jan. 1875 ab zu Berlin unter der bewährten Redaktion von Dr. W. KocH
erscheinenden „Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen“, welche
als Vereinsorgan eine der unmittelbarsten und lautersten Quellen für die
Geschichte des Betriebsreglements bildet. Vgl. auch ULrich, Das Eisen-
bahntarifwesen, 8. 50ff.; Kaufmann, Die mitteleuropäischen Eisenbahnen,
S. 167 ff. — Ueber die Entstehung des Betriebsreglements vgl. namentlich:
W.Koca, Deutschlands Eisenbahnen (1860), IIS.8f.; W. Koca, Das deutsche
Eisenbahntransportrecht (1866), S. 6—11; RuckpEscHEL, Kommentar zum
Betriebs-Reglement (1880), S.1—5; WEHRMANN, Das Eisenbahnfrachtgeschäft
S.3ft.; Eakwr, Deutsches Frachtrecht, 2. Aufl., III S. 152—165; Uurich, Be-
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