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nach als privatrechtliche Normen anzusehen, welchen die Parteien
bei jedem Frachtgeschäfte durch stillschweigende Annahme
vertragsmässig unterworfen sind.“
In einem Punkte allerdings, und zwar in einem sehr wich-
tigen, weicht die Anschauung des Reichsgerichts von der im Ur-
theil der Reichsoberhandelsgerichts vom 30. November 1875 zum
Ausdruck gekommenen Auffassungsweise wesentlich ab, nämlich
bezüglich des Einflusses der Vertragsnatur des Betriebs-Reglements
bezw. der Verkehrs-Ordnung auf die Frage, ob und inwiefern die
Auslegung und Anwendung dieser abstrakten lex contractus der
Beurtheilung des Revisionsrichters unterworfen sei.
Bereits im Urtheil vom 12. Januar 1882 (Entsch. ın
Civilsachen, Bd. 3, S. 425ff.) hat das Reichsgericht (I. Oivil.-Sen.),
anlässlich eines Rechtsstreites über die Auslegung einer Ver-
sicherungspolice, die Befugniss für sich in Anspruch genommen,
die Auslegung von Verträgen, die auf zum Voraus abgefassten
allgemeinen Bedingungen von Gesellschaften beruhen, deren Zweck
das kontinuirliche Eingehen einer Gattung von Rechtsgeschäften
ist, zu prüfen. In dem Urtheil des Reichsgerichts vom
13. Februar 1886, I. Civilsenat (Entsch. in Civilsachen, Bd. 15,
S. 146) ist dieser Grundsatz auf das Betriebs-Reglement für die
Eisenbahnen Deutschlands angewendet, indem unter Ziff. 2 der
Entscheidungsgründe ausgeführt wird: „Der Beklagte (Revisions-
kläger) stützt seine Vertheidigung wesentlich auf das Betriebs-
reglement und findet sich durch die den Bestimmungen desselben
vom Berufungsrichter gegebene Auslegung verletzt. Der Re-
visionsbeklagte bestreitet mit Unrecht die Zulässigkeit der Nach-
prüfung dieser Auslegungen in der Revisionsinstanz. Denn der
Berufungsrichter hat (wie das in Fällen der vorliegenden Art ge-
wöhnlich der Fall sein wird) nicht sowohl den im Abschluss
des einzelnen Frachtvertrages zum Ausdruck gekommenen kon-
kreten und detaillirten Vertragswillen der Kontrahenten fest-
gestellt, sondern er hat eine abstrakte Norm, welcher als solcher