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die Stellung der Staatsanwaltschaft zu den Staatsregierungen
und zum Reiche als die einer politischen Verwaltungsbehörde
im Rechtsverfahren, besonders im Strafprozess, und zu den Ge-
richten als Prozessbetriebs- und Vollzugsorgans, in über-
raschender Weise sich im November 1876 als ein Sieg der Ver-
waltung über die Rechtspflege ergab, wodurch ein Eingreifen der
obersten Justizverwaltung, selbst in jeden einzelnen Strafprozess,
ermöglicht und damit der sonst verpönten „Kabinets- und Mini-
sterialjustiz* (vgl. Art. IX 8 42 der Grundrechte der deutschen
Nation von 1848), in den 88 147 und 148 des G.-V.-G.,
entgegen dem in den 88 152, 154 und 158 der Str.-Pr.-O. kodi-
fizirten Legalitätsprinzip Thür und Thor geöffnet war, ohne
dass ein Justizchef nach der Landesverfassung wegen eines Ein-
griffes in ein Strafverfahren durch „Weisungen“ an die unter seine
„Leitung“ nach dem Gerichtsverfassungsgesetz für das Deutsche
Reich gestellte Staatsanwaltschaft zur Verantwortung gezogen wer-
den kann. Es trat ein Kampf um die Unabhängigkeit der Straf-
rechtspflege von Regierungseinflüssen hervor, aus welchem die Re-
gierungsvertreter, freilich, wie v. GNEIST in seiner trefflichen
Schlussrede im Plenum des Reichstages, sowie Dr. WINDTHORST
mit gewohnter Schärfe, jedoch zu spät, betonten, als Sieger her-
vorgegangen im Besitze der Macht blieben, da ihr zähes Fest-
halten an der Beherrschung des Strafverfahrens durch die Justiz-
verwaltung das Zustandekommen der Strafprozessordnung in
Frage stellte.
Eine baldige Revision auf diesem Gebiete der Reichsgesetz-
gebung war damals in den Gesetzgebungskommissionen der Hinter-
gedanke und Trost für die verschiedenen Opfer, welche dem
Regierungsverlangen gebracht wurden. Gegen ein zu schroff
aggressives Auftreten der Staatsanwälte erwartete man in einer
Ausdehnung der Vertheidigungsbefugnisse und in der mässigenden
Richtergewalt einen Schutz, der jedoch schliesslich hinter den ge-
hegten Erwartungen namentlich der im wichtigsten Theil der Kom-