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samtheit der Einzelnstaaten bildet ein selbständiges Rechtssubjekt,
das die Reichssouveränität trägt und inne hat. Die Einzelnstaaten
sind nur berufen, eines dieser Hauptorgane des Reiches kraft ihrer
Mitgliedschaftsrechte zu besetzen und dessen Willensbildung zu
beeinflussen — entsprechend dem Anteile des Kaisers an der
Reichsgewalt und dem Anteile der Staatsangehörigen an der
Willensbildung des Reichstages. Unter dem Gesichtspunkte der
Organisation, auf welcher die Eigenart des deutschen Bundes-
staates beruht, bieten die politischen Thatbestände der rechtlichen
Betrachtung ausserordentliche Schwierigkeiten, da Preussen eine
Vormachtstellung eingeräumt werden musste. Nur durch den
Nachweis der rechtlichen Gestaltung der preussischen
Hegemonie, die sich — vermöge des Grundsatzes der Gleich-
berechtigung aller Einzelnstaaten im Verhältnis zu der Rechts-
macht des Reiches — nirgends in einer Besonderheit der Kompe-
tenz des Reiches gegenüber Preussen, sondern ausschliesslich
in den organisatorischen Bestimmungen der Verfassung
äussert, wird der Begriff des Bundesstaates über ein abstraktes
Schema hinausgehoben. —
Die Organisation, welche im Reiche anders sein muss als im
Einheitsstaate, kann nur auf die Kompetenz des Reiches angelegt
sein. Für die Feststellung der Kompetenz genügt nicht die Be-
rufung auf eine allgemeine Ermächtigung, die aus dem Staats-
zwecke und aus der Notwendigkeit seiner Verwirklichungsmittel
abgeleitet werden kann, sondern es bedarf für jede materielle und
formelle Kompetenz des Reiches von Fall zu Fall des Nachweises,
dass dieselbe in der Reichsverfassung oder in ergänzenden Ge-
setzen gewollt und zum erkennbaren Ausdrucke gebracht sei —
auch hier vorbehaltlich der rechtsgiltigen Bildung eines Gewohn-
heitsrechtes.
Artikel 4 der Reichsverfassung giebt den Grundsatz für die
Gestaltung der Regierungsrechte des Reiches, indem er durch die
Bezeichnung der „Angelegenheiten“, mit denen sich das Reich