Full text: Archiv für öffentliches Recht.Elfter Band. (11)

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scheine nur noch wie eine historische Reminiscenz; der Reichs- 
kanzler bleibe dem preussischen Ministerpräsidenten unter allen 
Umständen übergeordnet. 
SEYDEL!? dagegen hat in seiner konsequenten Festhaltung 
des Bundescharakters des Reiches und im Anschlusse an SYBELS 
vorzügliche Ausführungen im verfassungsberatenden Reichstage !® 
das Bundespräsidium, das staatsrechtlich völlig identisch ist mit 
dem Begriff Kaiser!?, als „eine preussische Gewalt, nicht über 
den Bund, aber im Bunde und zwar nicht nur an dieser oder 
jener Stelle, sondern überall“ bezeichnet und beigefügt, es wäre 
ein Nachgeben gegen das partikularistische Gefühl an ganz falschem 
Orte, wenn man dieses Verhältnis, das gerade wieder ein Kenn- 
zeichen des Staatenbundes sei, verkennen wollte. Auch LABAND 
ist, obwohl er von einer der SEYDELschen Ansicht, welche von 
den verbündeten Regierungen in den gegen das Programm der 
deutschfreisinnigen Partei vom Jahre 1884 abgegebenen Erklä- 
rungen und in der Botschaft des deutschen Kaisers an den Reichs- 
tag vom 30. November 1885 eine bemerkenswerte Bestätigung 
erhielt, entgegengesetzten Auffassung über die rechtliche Natur 
des Reiches ausgeht, hinsichtlich des Verhältnisses der Präsidial- 
stellung zur Krone Preussen zu folgenden zwingenden Sätzen ge- 
kommen: „Nur dadurch, dass man die Präsidialbefugnisse in einen 
untrennbaren Zusammenhang bringt mit den der Krone Preussen 
zustehenden Mitgliedschaftsrechten, ja dass man das Recht auf die 
Ausübung dieser Präsidialbefugnisse als ein zu diesen Mitglied- 
schaftsrechten accessorisches Vorrecht (Sonderrecht) Preussens auf- 
fasst, gewinnt man den staatsrechtlichen Begriff des Kaisers“ ?°. — 
17 Kommentar 8. 92. 
18 HOLTZENDORFF-BEZOLD a. a. O. I S. 585. 
1% Vgl. meine Darlegung Archiv IV S. 571; vgl. auch Bismarck im 
Reichstag, Sten. Bericht 1878, II. Bd. 8. 384. 
3° LABAnD 8. a. O. I S.188. Die Notwendigkeit, bei Auslegung der 
Reichsverfassung nicht einseitig juristisch zu verfahren, erhellt klar auch aus 
dem Lapannschen Satze: „Denkt man sich den Landesherrn eines der kleineren
	        
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