Full text: Archiv für öffentliches Recht.Elfter Band. (11)

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eines im Reichstage gestellten Antrages: „den Reichskanzler zu 
ersuchen, beim Bundesrat zu beantragen“, die gesamte Auffassung 
über die Stellung des Kanzlers überhaupt so vollständig überein, 
dass es unmöglich ist, aus der Zeit von 1870—1890 die Bildung 
des bezeichneten Gewohnheitsrechtes nachzuweisen. 
Sofern man überhaupt dem Gewohnheitsrechte eine dero- 
gierende Kraft gegenüber dem Verfassungsrechte einräumen 
kann*’, darf man doch bei der Feststellung dieses Herkommens 
nicht in jeder unrichtigen Formel, im amtlichen Styl, in der Art 
der Publikation etc. eine rechtsbildende Uebung finden. Auch 
in dieser Hinsicht gilt die Ansicht des ersten Kanzlers, die er 
gegenüber dem oben erwähnten Antrage (26. März 1884) aus- 
sprach: „Eine Ueblichkeit (Gewohnheit) ändert nichts an den 
Bestimmungen der Verfassung. Ich habe früher auf die Form 
soviel Gewicht nicht gelegt; aber nachdem ich habe vernehmen 
müssen, dass man mich einer Machterweiterung zeiht, bin ich 
entschlossen, genauer darauf zu achten, dass Niemand dem Reichs- 
kanzler eine Attribution, eine Kompetenz beilegt, die ihm ver- 
fassungsmässig nicht zusteht. Ich werde mich bemühen, den 
Reichskanzler, der aus Bequemlichkeit im Geschäft in der par- 
lamentarischen Stilistik ein sehr in den Vordergrund tretender 
Begriff geworden ist, der gewissermassen über seine verfassungs- 
mässige Grösse aufgebläht ist, zu verkleinern.“ — U.E. sind 
BORNHAK und FiscHER hienach nicht in der Lage, eine Uebung 
nachzuweisen, welche die Grundlagen der Reichsverfassung ver- 
schieben könnte. — 
Ein weiterer Grund für die kaiserliche Initiative soll darin 
liegen, dass die preussischen Ministerien nicht in der Lage seien, 
Entwürfe für Reichsgesetze auszuarbeiten, namentlich die jähr- 
lichen Etatgesetze, die auf die Rechnungslegung bezüglichen Vor- 
47 Dagegen SeypeL, Bayer. Staatsrecht III S. 590; Lasann a. a. O. 
I S. 553,. für. die derogierende Kraft; Dyrorr, Annalen 1889 S. 827 u. ff.
	        
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