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Zweifellos enthält das Privileg eine Einschränkung der Straf-
rechtspflege im Interesse des Schutzes der Thätigkeit und der Sicher-
stellung der vollen Wirksamkeit einer landständigen Versamm-
Jung. Die Strafrechtspflege kann diese Wirksamkeit verschieden
beeinträchtigen. Die Haft entzieht den Abgeordneten seiner
Thätigkeit, Verhaftungen können das Stimmenverhältniss beein-
flussen, auch die Gefahr der Beschlussunfähigkeit herbeiführen.
Die Verhaftung könnte auch missbraucht werden um einen Druck
auf einzelne. Abgeordnete auszuüben '®. Das Privileg stellt aber
das Interesse der Gresetzgebung nicht über dasjenige der Straf-
rechtspflege. Denn es berührt nicht auch die Strafvollstreckung
und auch wegen der kleinsten Uebertretung kann die Strafvoll-
streckung gegen einen Abgeordneten nicht gehindert werden (Ein-
führungsgesetz zur Str.-P.-O. 86 No. 9 siehe oben). Auch ist bei
Ergreifung auf frischer T'hat das Interesse der Strafrechtspflege
kein dringenderes, und doch ist in diesem Falle die Genehmigung
des Hauses nicht erforderlich. Gerade diese Ausnahme erklärt
die Regel!?®. Strafrecht und Strafverfolgung (Strafklagerecht)
sind unbestritten getrennte Begriffe, es ist nicht das Straf-
recht, welche das Privileg beschränkt, sondern in erster Linie
die Strafverfolgung; ihr dient insbesondere die Haft, welche bei
Einleitung oder Fortsetzung einer Strafverfolgung angeordnet wird.
Eine Untersuchungshaft wird durch richterlichen Beschluss ein-
geleitet, die Haft hat einen richterlichen Haftbefehl zur Voraus-
setzung; auch die vorläufige Festnahme bedarf der nachträglichen:
gerichtlichen Bestätigung, sie ist die anticipirte Execution des zu
erwartenden richterlichen Haftbefehls. Das Veto ist also eine
Hemmung der richterlichen Thätigkeit, ein Eingriff in die Rechts-
pflege, das Privileg sonach eine Einschränkung der Richtergewalt,
ein Bruch mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Rechts-
pflege?°. Massgebend für die Handhabung des Privilegs muss dessen
18 5, J. WEISMann, 1. c. 8. 392. 19 8, J. WEISMAnN, 1. c. 8. 892.
20 g, J. WEISMANN, 1. c. 8. 894.