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und Strafvollstreckung stehe ihr allein zu. Man bezog sich da-
mals mit Unrecht auf die Analogie des Art. 87 der Verf.-Urk.,
wonach die Entscheidung über die Giltigkeit der Wahlen und
über die Zulassung, Abweisung und Befreiung der Mitglieder der
Kammer zur Competenz der Landstände gehört.
Nirgends findet sich in der Verfassungsurkunde die Vor-
schrift, wonach der Kammer die definitive Entscheidung über die
Zulässigkeit der Verhaftung oder Haft der Abgeordneten zustehe.
Die später im Jahr 1865 gefassten Beschlüsse der II. Kammer
nehmen deshalb mit Recht den im Jahr 1850 festgehaltenen Stand-
punkte nicht mehr ein. Sie begnügen sich mit der Erklärung, wie
sie den Art. 84 auslegen, mit der Mittheilung dieser Erklärung
an die Regierung und dem Ersuchen, für Beobachtung des Art. 84
einzutreten. Grewiss lässt sich diese Form einer Erklärung über
die Auslegung des Art. 84 der Verf.-Urk. in Form eines Be-
schlusses nicht beanstanden. Praktisch hat sie wenig Bedeutung
gegenüber der Unabhängigkeit der Gerichte und der Vorschrift
des Art. 72 der Verf.-Urk., welche authentische Interpretation
der Gesetze ausschliesst?*. Alle diese Momente beweisen die
Wichtigkeit einer Regelung der Immunitäten der Abgeordneten
durch ein Spezialgesetz, welches die in der Praxis hervorgetretenen
Controversen beseitigt und das bei Anwendung des Art. 84 zu
beachtende Verfahren, dem Geiste der Verfassung entsprechend,
genau geregelt”.
24 Vgl. Verhandlungen der II. Kammer der hess. Landstände, 25. Land-
tag, Beil. IV. Bd. Beil. Nr. 337 S. 32.
25 Die Immunitäten der Mitglieder der deutschen Landtage behandelt
eingehend eine neuerdings erschienene Schrift von Dr. E. Sonntag: Der
besondere Schutz der Mitglieder des deutschen Reichstages und der deut-
schen Landtage gegen Strafverfolgung und Verhaftung. Breslau, Verlag
W. Köbner, 1895.