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günstigen Umstände angesehen werden. Der Forscher hatte es mit einen
grossen Quellenkreise zu thun, der durch Momusen’s Thätigkeit noch um
einen wichtigen Bestandtheil, die Inschriften, vermehrt worden ist, der aber
im grossen Ganzen vorläufig als geschlossen betrachtet werden kann, falls
ihn nicht die erst in letzter Zeit zugänglich gemachten Papyri beträchtlich
erweitern. Auf Grund der Rechtsquellen und ihrer praktischen Verwerthung
hatte eine eigene Wissenschaft eine Seite des staatlichen Lebens durch-
forscht, welche auf anderen historischen Gebieten noch vielfach ganz im
Dunkeln liegt. Wichtiger aber noch mag der Umstand gewesen sein, dass
die römische Geschichte eine einheitliche und abgeschlossene staatliche Ent-
wickelung darstellt, von dem Embryo der palatinischen Stadt bis zur Ge-
staltung und zur Zersetzung des römischen Weltreiches, die zwar Elemente
der verschiedensten Öulturkreise verarbeitete, aber selbstherrlich, wie viel-
leicht keine andere, die wir kennen, sich ihre eigenen Formen schuf. So
kennt die moderne historische Wissenschaft bisher zwar griechische Staats-
alterthümer und eine weder räumlich noch zeitlich abgeschlossene Deutsche
Verfassungsgeschichte, aber nur ein römisches Staatsrecht. Das rechtliche
Verhältniss des Staates zum Auslande war dasselbe zu Aeneas’ und Theode-
rich’s Zeiten; die Idee des imperium hat sich nicht verändert von König
Romulus bis zu den Antoninen.
Erst in den Stürmen des 3. nachchristlichen Jahrhunderts zersprengt
der neue Inhalt die alte Form. Desshalb hat Mommsen auch die diocletia-
nische Verfassung nicht mehr in das „Römische Staatsrecht* aufnehmen
können. Der schöne letzte Abschnitt des „Abrisses“, in welchem „die Staats-
ordnung seit Diocletian“ skizzirt ist, ist nothwendiger Weise nur ein Anhang.
Dieser Anhang aber macht den Wwuusch rege, dass MoMmMsEN sein
Lebenswerk fortsetzen möge, indem er die spätrömische Staatsordnung
schildert, von der er schon einige Grundlinien auch in den „Östgothischen
Studien“ und in der „Militärordnung seit Diocletian“ vorgezeichnet hat.
Und auch die Lücke, die MommsEn gelassen hat, das römische Strafrecht,
von dem er vor 50 Jahren ausgegangen ist, sollte ausgefüllt werden.
Reconstruirt steht der gewaltige Bau des römischen Staates vor uns;
wir danken es Monmmsen, dass wir seinen Bauplan und seine Baugeschichte
kennen. Doch wandelt uns die Neugier an zu wissen, wie die gelebt haben,
die ihn in sauerer Arbeit, in kluger Berechnung errichtet haben, Sollte es
einmal gelingen, auch dies zu erforschen, so würde uns Vieles begreiflich
erscheinen, was wir heute an dem Gebäude wahrnehmen, ohne es verstehen
zu können. Wenn es möglich sein soll, diese Aufklärungen zu gewinnen, so
muss es die Aufgabe der wirthschaftsgeschichtlichen Forschung sein, ihnen
nachzuspüren. Aber auch sie wird anknüpfen müssen an Momusen’s „Römische
Geschichte*. — L. M. Hartmann.