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mit geringerem Risiko zu versichernden Mitglieder von den bil-
ligeren Hülfskassen weggefangen werden (vgl. die Daten bei RoTH
in der „Sozialen Praxis“, Bd. V 8. 979). Sie bietet aber auch
den Arbeitern ein Danaergeschenk: wer ein bestimmtes Lebens-
alter (meist 40 oder 50 Jahre) überschritten hat, darf statuten-
mässig von der Hülfskasse nicht aufgenommen werden. Hat er
beispielsweise als ein vom Lande in die Stadt (Gezogener bisher
sich nicht zum Eintritt in die Kasse veranlasst gesehen, oder ist
diese aufgelöst, geschlossen, oder ist er — was bei Arbeitlosig-
keit, Gefängnisstrafe, Krankheit u. dgl. leicht vorkommt — aus
der Mitgliederliste wegen Zahlungssäumniss gestrichen, so stösst
er bei dem Suchen nach neuen Stellen auf vielfache Schwierig-
keiten. Mancher Arbeitgeber, der sich stolz als Anhänger der
Selbsthülfe auf gewerblichem Gebiete bezeichnet, wird ihn mit
der Bemerkung abweisen, er nehme nur Leute in Arbeit, welche
sich selbst in Hülfskassen versichert hätten — er braucht natür-
lich für solche keinerlei Krankenkassenbeiträge zu entrichten.
Wenn dem Arbeitslosen auf diese Weise die gesetzliche Wohl-
that der Zwangsversicherung zur Plage wird, so ist das ein böser
Missstand. Geleugnet kann derselbe, wenigstens in den grösseren
Städten, gewiss nicht werden; Beobachtungen der geschilderten
Art sind, zumal im Winter, häufig genug. Ein energischer Ver-
fechter der Arbeiterfürsorge, der Vorsitzende der Versicherungs-
anstalt Berlin, Dr. FREUND, ist in seinen „Vorschlägen zur Ver-
einfachung der Arbeiterversicherung* (vgl. Reichsanzeiger vom
15. Nov. 1895 No. 274) vor dem Radikalmittel der Aufhebung
des bisherigen Charakters der Hülfskassen nicht zurückgeschreckt.
Man kann sie sehr wohl als Zuschusskassen, also nicht als Er-
satz, sondern als eine durch freiwillige Mitgliedschaft gewonnene
Ergänzung der Zwangskassen bestehen lassen, während letztere
fortan jeden Krankenversicherungspflichtigen in sich aufnehmen
würden.
Fällt aber, das Privileg der Hülfskassen, und befreien sie