97 —_
vorzutragen, Rechtsfragen überhaupt nicht zu plaidieren, sondern
die Richter auf mehr oder weniger passende Präjudizien zu ver-
weisen, die er in der Geschwindigkeit einem Sammelwerk ent-
nommen hat. Wenn dagegen der Rechtsanwalt in den ersten
Jahren seiner Praxis kleinere Sachen zur Bearbeitung bekommt,
die ihm die hierzu nöthige Musse gewähren, so hat er sich, be-
vor er zu einer grossen Praxis gelangt, an ein gründliches Ar-
beiten gewöhnt und wird die ihm anvertranten wichtigen Prozesse
in ganz anderer Weise behandeln, als wenn er gänzlich ungeübt,
eine so grosse Arbeitslast hätte bewältigen müssen.
Il. Wohl werden die Einnahmen der Amtsgerichts-
anwälte geringer sein, als diejenigen der an den Kol-
legialgerichten zugelassenen. Allein sie werden, wenn, wie
zu vermuthen steht, die einzelrichterliche Kompetenz auf Mk. 500
erhöht wird, neben den Strafsachen immerhin so viel verdienen“,
um sich selbst und sogar eine kleine Familie anständig zu er-
nähren. Dies genügt aber für den Anfänger vollständig. Denn
auch zum Ertragen grosser Einnahmen gehört eine gewisse
geistige Reife und ist mancher junge Rechtsanwalt schon deshalb
untergegangen, weil er in den ersten Jahren viel Geld verdiente.
III. Ein weiterer Nutzen der Amtsgerichtsanwaltschaft liegt
in einer gleichmässigeren, namentlich aber sachgemäs-
seren Vertheilung der Praxis. Die älteren Anwälte dürften
sich voraussichtlich von den Amtsgerichten zurückziehen und das
Feld den jüngeren Kräften überlassen. Es werden in Folge dessen
die Terminskollisionen seltener und die Landgerichtsprozesse, über
deren langsames Fortschreiten so sehr geklagt wird, werden rascher
erledigt.
44 Eine Gefahr der Amtsgerichtsanwaltschaft besteht allerdings darin,
dass die Amtsgerichtsanwälte von der Praxis an den oberen Gerichten aus-
geschlossen, sich mit Vorliebe Kuratelen und Konkursverwaltungen zuwenden
würden, die so gefährliche Klippen füreinen jungen unerfahrenen
Mann enthalten. Vgl. oben Note 4; s. auch Prischz a. a. O. 8. 359.