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Religiöse Kindererziehung, Austritt und Uebertritt
in Religionsgemeinschaften nach der Grossherzogl.
Hessischen Gesetzgebung.
Von
Ober-Rechnungsrath Dr. ZELLER-Darmstadt.
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Der bisherigen Rechtsentwickelung folgend hat der Entwurf
des bürgerlichen Gesetzbuchs die elterliche Gewalt als vormund-
schaftliche Gewalt, d. h. als Schutzgewalt gestaltet, welche ihrem
Inhaber das Recht und die Pflicht der Sorge für die Person und
das Vermögen des Kindes giebt!. Auf Grund der Erziehungs-
pflicht und des Erziehungsrechtes haben die Eltern das Religions-
bekenntniss ihrer Kinder zu bestimmen. Sie sind nach gemeinem
deutschen Rechte nicht verpflichtet, ihre Kinder in ihrer eigenen
Konfession zu erziehen, sondern können für dieselben ein anderes
Bekenntniss wählen. — Der Rechtszustand in Deutschland über
die religiöse Erziehung der Kinder ist ein ausserordentlich bunter,
die Landesgesetze befolgen die abweichendsten Grundsätze. Theils
stellen sie feste, sowohl den Vater als die Mutter absolut bin-
dende Normen auf, theils geben sie dem Vater ein mehr oder
weniger ausgedehntes Bestimmungsrecht, theils erklären sie Ver-
träge der Eltern über die religiöse Erziehung, für zulässig und
gestatten eine Abweichung von der gesetzlichen Regel nur durch
einen solchen Vertrag. Nach dem Tode des Vaters ist regel-
1 Denkschrift zum Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches nebst der
Anlagen. Berlin, J. Guttentag, 1896, S. 233.