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brachten thathsächlich die Verwaltungsbehörden bisher die Be-
folgung der bestehenden Vorschriften über das Erziehungsrecht
in Ausführung, meist durch Verhängung von Schulversäumniss-
strafen. Zur Milderung der Härten griff man zu Dispensationen,
welche das Ministerium der Justiz und des Innern auf Grund
der Anträge der Verwaltungsbehörden und vorausgegangenen Schul-
untersuchungen ertheilte **. Gelingt es nicht durch ein Gesetz die
Frage des religiösen Erziehungsrechts in Hessen durch ein den
Anforderungen der Zeit entsprechendes System — wie solches
die Regierung vorschlug — neu zu regeln, so werden die ge-
schilderten unerquicklichen Zustände auch nach Inkrafttreten des
deutschen bürgerlichen Gesetzbuches fortdauern. —
II. Nach dem Grundsatze der Religions- und Gewissens-
freiheit steht der Austritt aus einer bestehenden Kirche oder
Religionsgemeinschaft mit oder ohne gleichzeitigen Uebertritt zu
einer anderen, zu jeder Zeit frei. Als Entscheidungsjahr d. h.
als dasjenige Lebensjahr, von dem an die Freiheit der Kon-
fessionswahl beginnt, gilt wie in den meisten Staaten das 14. Lebens-
jahr. Während seinerzeit eine Verordnung vom 23. Nov. 1850
(Art. 2) von der Voraussetzung ausging, dass der Austritt
aus einer Religionsgesellschaft zugleich jedesmal der Ueber-
tritt zu einer anderen bedeute, enthält jetzt das Gesetz vom
10. Sept. 1878 betreffend die bürgerlichen Wirkungen des Austritts
aus einer Kirche oder Religionsgesellschaft, die Vorschriften
über Wirkungen und Formen des Aus- und Uebertritts. Das
(Gesetz gilt für den Austritt aus der evangelischen und katholischen
Kirche, aus einer mit Korporationsrechten versehenen Religions-
gemeinschaft und aus dem Judenthum (Art. 5 und 6 Ges.).
Ueber den Austritt aus einer israelitischen Religionsgesellschaft
ohne gleichzeitigen Austritt aus dem Judenthum enthält das
Gesetz vom 10. Sept. 1878 betreffend den Austritt aus den
% 8. ScaMmior, 1. c. S. 412, 417.