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Der deutschen Rechtsauffassung entspricht die Kodifi-
zierung des Legalitätsprinzips, wie sie im $& 152 8t.-P.-O.
geschehen ist zur Beseitigung des in der früheren preussischen
Strafpraxis gross gezogenen Opportunitätsprinzips, jedenfalls mehr,
als die im österreichischen Strafprozess geschaffene Beschränkung
des Legalitätsprinzips durch eine Voranstellung des „öffentlichen
Interesses als massgebenden Faktors für die Strafverfolgung
neben dem in $ 2 der österreichischen St.-P.-O. im weitesten Um-
fang dem Kaiser verliehenen Abolitionsrecht. Die Auffassung von
der Bedeutung des Strafgesetzes als des Gegenstandes des
Strafverfahrens wird massgebend sein dafür, dass nicht Interessen-
sondern Gesetzesherrschaft das Strafverfahren bestimme: Es
wird Folgendes festzuhalten sein:
Der Strafprozess ist seinem xegenstand nach Rechts- nicht
aber Verwaltungs-Verfahren; denn er beschäftigt sich mit einem
Strafrechtsverhältnis, welches durch den Bruch der allgemeinen
Ordnung erzeugt wird, und zwar zwischen dem Staat und der
Gesellschaft zur Herstellung der durch ein Gesellschaftsglied wirk-
lich oder angeblich gestörten Ordnung mittels Rechtsspruches auf
Anwendung eines Strafgesetzes, welche eine aus der Nicht-
verfügbarkeit hervorgehende Staatspflicht ist — Legalitätszwang!.
Dazu bedarf es ausser den von Amtswegen die Sachlage (That-
bestand) feststellenden Gerichten bestimmter Angrifis- und Ab-
wehrorgane, welche das Gericht in der Thatsachenfeststellung
unterstützen in einem geordneten Rechtsverfahren zur Herbei-
führung eines vollstreckbaren richterlichen Endspruches über die
Anwendung des Strafgesetzes auf den einzelnen Rechtsbruch, um
die Richter von einseitiger Interressenwahrung frei zu halten und
1 Vgl. des Verf. Abhandlung: „Staat und Gesellschaft im Straf-
verfahren“ im Gerichtssaal Bd. 47 (1892) S. 282—845 und die neueren Lehr-
bücher von BENNECKE und v. Krıes, sowie die in des letzteren Lehrbuch
des deutschen Strafprozessrechts (1892) 8 2 und S.4 in Anm. 1 aufgeführte
Litteratur.