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erschüttert das Vertrauen des Volks zur Gerechtigkeitspflege
mehr, als eine auch nur vermeintliche ungleiche Behandlung von
Strafrechtsfällen, hinter welcher Sonderinteressen auch nur wahr-
scheinlich oder bloss vermutet werden. Daher forderten mit Recht
die Grundrechte des deutschen Volks von 1848 die Verbannung
aller „Kabinets- und Ministerialjustiz“. Jedenfalls ist es unsicher,
wenn es durchweg der Beurteilung des einzelnen Staatsanwaltes
überlassen bliebe, ob seine Auffassung vom „öffentlichen Interesse“
sich mit der gemeinen Meinung, oder etwa der seiner vorgesetzten
Behörden decke? Ist eine That mit einer Öffentlichen Strafe
bedroht, so ist damit schon festgestellt, dass ihre Bestrafung
im Öffentlichen Interesse der Rechtsordnung liege, und
damit ist im Einzelfall jede Nachprüfung eines Vorhandenseins
des öffentlichen Interesses an der Strafgesetzanwendung aus-
geschlossen und die Prüfung beschränkt sich nur nach $ 152
St.-P.-O. auf das Vorhandensein der thatsächlichen Voraus-
setzungen der Anwendung eines Strafgesetzes — und der be-
rühmten Klausel daselbst, „soweit nicht etwas Anderes gesetzlich
bestimmt ist“. Die Hereinziehung des „öffentlichen Interesses“
als Voraussetzung einer Strafverfolgung ist nach deutschem Straf-
recht und Strafprozessrecht absolut unzulässig — ausser da, wo
die Strafprozessordnung den Eintritt der Staatsanwaltschaft in
die Strafverfolgung wegen Beleidigungen und gewisser Körper-
verletzungen, welche sonst mit der Privatklage zu verfolgen sind,
von deren Ermessen, ob das öffentliche Interesse beteiligt sei,
abhängig gemacht hat. Ausserdem stellen die Strafgesetze
keine Handlung unter ein Strafverbot, welche nicht
das öffentliche Interesse berührt, mag dies auch nicht
immer oder noch sich mit der herrschenden Volksüberzeugung,
z. B. bei veralteten Strafnormen, decken, : Mit diesem Grundsatz
ist jeder Zulassung einer Abweichung von dem Legalitätsprinzip
aus Rücksichten des „öffentlichen Interesses“ (salus publica!) der
Rechtsboden entzogen. Ein Staatsanwalt, der „Bagatellen nach-