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Parteien unbegrenzt freie; jedoch ein sog. Prorogationsprozess
als ein ausserhalb der gesetzlichen Formen laufendes, von den
Beteiligten mit dem Gericht vereinbartes Abkürzungsverfahren,
ist ausgeschlossen und die freie Verfügung über die prozessua-
lische Mitwirkung nach Zweckmässigkeitsrücksichten oder blosser,
unbegründeter Willkür kann im Zivilprozess nur soweit Platz
greifen, als die Prozessgesetzgebung dafür Spielraum lässt. Das-
selbe gilt in erhöhtem Masse für den Strafprozess, welcher meist
der Willkür entzogene Ordnungsregeln enthält; die Zweckmässig-
keit kann vorzugsweise da, wo das richterliche Ermessen vom
Gesetz als frei, ausserhalb der Gesetzesschranken stehend, an-
erkannt ist, für die Entschliessungen massgebend oder mitwirkend
sein, wie z. B. bei der Wahl des Gerichtsstandes in $$ 7 und 8,
12—14, 19 und 183 St.-P.-O. u. a. m., auch meistens da, wo
das Gesetz die Ermächtigungsform in dem Wort „kann“ ge-
braucht, also nicht verpflichtend gebietet.
Der erwähnte Gegensatz tritt vorzugsweise bei der richter-
lichen Prüfung und Abwägung hervor und hier zeigt sich bei
dem einen Richter die Neigung zur Berücksichtigung der Zweck-
mässigkeit vor der strengen Gesetzmässigkeit, und umgekehrt, als
vorherrschend; „der Sache ihr Recht angedeihen zu lassen“ ist
sicher ein nicht zu verwerfender Grundsatz einer sog. individuellen
Rechtspflege, welche die ausgleichende Billigkeit — aequitas —
mit in die Wagschale der Themis werfen möchte; aber er deutet
schon mehr auf die Herstellung des objektiven Rechts in dem
von den Parteien klar gestellten Prozessrechts- und materiellen
Rechtsverhältnis, während infolge der Parteiverfügung die aus dem
Prozess hervorgegangene Sachlage für den Richter sich so ver-
hält, dass er formell daran gebunden sein muss, gegen seine ab-
weichende Ueberzeugung von der objektiven Sachlage und von der
daran zu schliessenden Rechtsregelung. Hier kommt er, beson-
ders bei der Beweiswürdigung, leicht in die Lage, der Legalität
in der Bedeutung objektiver Rechtsgeltung zur Herrschaft ver-