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als Grundlage einer dem Strafgesetz entsprechenden Anwendung
im Geiste der Gerechtigkeit, welche im einzelnen Fall nur dann
erreicht: wird, wenn der vom Gesetz vorausgesetzte T'hatbestand
sich auch im Fragefall als erfüllt nachweisen lässt. Um diese
Thatbestandsdeckung möglichst herbeizuführen, kann es nicht den
Zufälligkeiten einer in der Willkür Beteiligter liegenden Wahr-
heitsermittelung überlassen bleiben, sondern dem Staat fällt die
Verpflichtung zur Gerechtigkeitsübung überall zu, also auch in
der Thatsachenfeststellung von Amtswegen die Beweise sammeln
und erheben zu lassen, „um das zu ergründen, was sich wirklich
zugetragen hat“, d. i. im Gegensatz zur formellen, bezw. Partei-
wahrheitserforschung die staatliche oder Wahrheitserforschung
von Amtswegen, und sofern sie gleichmässig nur durch das
Richteramt erfolgt, von Richteramtswegen, womit nicht gesagt ist,
dass nicht auch von den Prozessbeteiligten zur Herstellung der
sog. materiellen Wahrheit mitgewirkt werden könne und solle.
Diese ist also die für ein möglichst gerechtes Urteil nach
Massgabe des Strafgesetzes von Richteramtswegen zu ermittelnde
Wahrheit des Verbrechensvorganges durch amtliche Stoffsamm-
lung und Beweiserhebung behufs der gerechten Strafgesetz-
anwendung nach dem Legalitätsprinzip, das die ganze Straf-
rechtspflege und jeden einzelnen Strafprozess von Anfang bis zu
Ende beherrschen soll und für alle Organe der ersteren als
Heischesatz des obersten Prinzips der Gerechtigkeit für den
Prozessbetrieb leitend ist.
Es ergiebt sich hiernach, dass der Grundsatz der Erforschung
materieller Wahrheit ein von dem Gerechtigkeits- und Legalitäts-
prinzip erst abgeleiteter Grundsatz ist. Zu seiner Durchfüh-
rung verhilft ausreichend nur die staatliche, besonders richter-
liche Thätigkeit — im Offizialverfahren durch staatliche Beamte
der Strafgesetzvollziehung (Anklage-, Verteidigungs- und Richter-
amt). Die Offizialmaxime hängt mit dem Legalitätsprinzip aufs
engste zusammen und tritt in einen zweifachen Gegensatz zu der