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Art. 11 Abs. 3 der Reichsverfassung sagt nicht etwa: der
vom Kaiser abgeschlossene Vertrag kann nur durch ein Reichs-
gesetz staatsrechtliche Wirksamkeit erlangen, sondern : der Kaiser
soll das Reich nur unter Zustimmung des Bundesrats und Ge-
nehmigung des Reichstages verpflichten. Die Einwilligung beider
wird nicht nur dem Vertragsgesetze, sondern auch dem Vertrage
selbst erteilt. Bei unbefangenem Studium des ganzen Art. 11
erhält man den Eindruck, derselbe unterscheide überhaupt nicht
zwischen den völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Wirkungen
der einschlägigen Handlungen des Kaisers; was derselbe thut,
soll auch staatsrechtlich gültig sein, vorausgesetzt, dass er die
Zustimmung der betreffenden Faktoren einholt. Man darf wohl
sagen: weil Bundesrat und Reichstag ihre Zustimmung erteilt
haben, hat das Vertragsgesetz die Kraft eines ordentlichen Reichs-
gesetzes; verfehlt aber wäre die andere Schlussfolgerung : weil
die Zustimmung von Bundesrat und Reichstag erfordert wird,
sei sie auch ausreichend. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer
kaiserlichen Willenserklärung macht Art. 11 der Reichsverfassung
zwischen Vertragsgesetzen und Vertragsverordnungen keinen Un-
terschied.
Die Reichsverfassung kennt demnach zwei verschiedene gesetz-
gebende Gewalten. Zwar erwähnt sie die hier besprochene nicht
ausdrücklich, aber sie hat sie durch Art. 11 geschaffen. Die
Stellung des Kaisers ist dem Entwurf eines Vertragsgesetzes
gegenüber noch eine andere als in denjenigen Fällen, in denen
ihm sonst thatsächlich ein Veto zusteht. Nach Art. 5 Abs. 2
und Art. 78 kann der König von Preussen im Bundesrate nicht
überstimmt werden??”. Nachdem ein gültiger Bundesratsbeschluss
zu stande gekommen ist, darf der Kaiser aber die Ausführung
nicht hindern; er mag seine Ansicht über die fragliche Angelegen-
heit nachträglich geändert haben; das Gesetz muss er trotzdem
ausfertigen. Beim Vertragsgesetzentwurf dagegen ist der Kaiser
2: Für Verordnungen des Bundesrates vgl. Art. 37 der Reichsverfassung.