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Beschlüsse beider Körperschaften nachschlagen. Man wende
hiergegen nicht ein: durch die Verkündigung eines Vertrags-
gesetzes im Reichsgesetzblatt werde die verfassungsmässige Zu-
stimmung von Bundesrat und Reichstag stillschweigend konstatiert.
Das wäre schon aus dem Grunde unzutreffend, weil genau in der
nämlichen Weise wie Vertragsgesetze sehr viele Staatsverträge
im Reichsgesetzblatt publiziert werden, welche nicht unter Art. 11
Abs. 3 der Reichsverfassung fallen und deshalb dem Bundesrath
und Reichstag nie unterbreitet wurden. Im einzelnen Falle mag
es sehr wohl zweifelhaft sein, ob ein Vertrag zu dieser oder jener
Kategorie gehöre; ein Beispiel bietet die dem Reichstage nicht
vorgelegte Uebereinkunft zwischen dem deutschen Reich und
Oesterreich-Ungarn vom 31. Dezember 1879°°, Ein Rechtsirrtum
des Kaisers und des Reichskanzlers kann aber über die fehlende
Zustimmung von Bundesrat und Reichstag nicht hinweghelfen.
Die Bekanntmachung des Reichskanzlers in Nr. 5 des Reichs-
gesetzblattes vom Jahre 1879 war deshalb nicht notwendig, wohl
aber sehr zweckmässig; sie enthielt keinen Befehl, sondern machte
Behörden und Publikum lediglich mit einer Thatsache bekannt.
Das Vertragsgesetz trat demnach am 25. Februar 1879 mit
rückwirkender Kraft vom 1. Januar 1879 in Geltung.
Aus der Rede des Abgeordneten DELBRÜCK in der Reichs-
tagssitzung vom 20. Februar 1879?° scheint hervorzugehen, dass
der Reichskanzler das Vertragsgesetz durch Anweisung an die
Behörden bereits vom 1. Januar 1879 an provisorisch in Kraft
gesetzt hatte. Die Denkschrift des Reichskanzlers vom 12. Fe-
bruar 18793” erwähnt diesen Umstand nicht. Korrekterweise
hätte dann Indemnität nachgesucht werden müssen wie nach der
85 Vgl. die oben 8. 164 zitierte Denkschrift zum Uebereinkommen vom
11. April 1880. PRrEsTELE S. 63—64.
8° Stenographische Berichte, 4. Legislaturperiode, 2. Session 1879, Bd. I
S. 45.
37 Ebenda, Drucksachen des Reichstages, Bd. I Nr. 8,