— 1716 —
beilegt. Dem stereotyp gewordenen Schlussparagraphen : „Alle
diesem Gesetze widersprechenden Bestimmungen sind hierdurch
aufgehoben möchten wir eine derartige Bedeutung nicht bei-
messen, weil wir bis zum überzeugenden Nachweise des Gegen-
teils nicht annehmen können, das Deutsche Reich wolle vertrags-
brüchig werden.
Wie verhält es sich nun, wenn ein Reichsgesetz das ältere
Vertragsgesetz ausdrücklich aufhebt? Genügt die Uebereinstim-
mung der Beschlüsse von Bundesrat und Reichstag zu diesem
Zwecke? Man muss es annehmen, wenn man die von der ameri-
kanischen Jurisprudenz aufgestellte Regel — vorbehaltlich des
Grundsatzes lex posterior generalis non derogat priori speciali
— für richtig hält. Wir können sie jedoch für das deutsche
Staatsrecht nicht annehmen. Es soll zwar kein Widerspruch
dagegen erhoben werden, dass Vertrags- wie Reichsgesetze Sou-
veränetätsakte sind, welche sich nur in der Form und hinsicht-
lich der Organe unterscheiden, durch die der souveräne Wille
zum Ausdruck gelangt. Nicht beizutreten ist aber der hieraus
gezogenen Folgerung, dass ein Vertragsgesetz durch ein gewöhn-
liches Gesetz aufgehoben werden könne. Auch hier gilt vielmehr
die allgemeine Regel, dass jede Rechtsnorm nur auf demselben
Wege ausser Kraft gesetzt werden kann, auf welchem sie ein-
geführt ist; die Aufhebung durch eine Rechtsnorm höherer Art
interessiert an dieser Stelle nicht. Kommt das Vertragsgesetz
nur unter Mitwirkung des Kaisers zu stande, so kann es auch
nicht ohne seine Zustimmung der Wirksamkeit beraubt werden.
Diese Annahme erscheint geboten, wenn man der oben dar-
gelegten Theorie über die Entstehung des Vertragsgesetzes zu-
stimmt. Nebenbei hat sie auch gesunde politische Erwägungen
für sich. Genügte ein gewöhnliches Reichsgesetz zur Aufhebung
des Vertragsgesetzes, so wäre der Kaiser zur Ausfertigung und
Verkündigung des ersteren staatsrechtlich verpflichtet. Die preussi-
schen Stimmen mögen im Bundesrat in der Minderheit geblieben