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mag dahingestellt bleiben; dagegen ist die Vorfrage zu beant-
worten, ob der Kaiser im angenommenen Falle zur Kündigung
des Vertrages staatsrechtlich verpflichtet ist? Kann er überhaupt
zur Kündigung von Verträgen verpflichtet werden?
Die Kündigung eines Vertrages ist ein völkerrechtlicher
Rechtsakt, gehört mithin zu der dem Kaiser übertragenen völker-
rechtlichen Vertretung des Reiches. In Wahrnehmung derselben
ist der Kaiser nur durch die beiden letzten Absätze des Art. 11
der Reichsverfassung beschränkt; und diese sprechen nicht von
der Kündigung eines Vertrages. Soweit er nicht beschränkt ist,
hat der Kaiser lediglich nach seinem Ermessen zu handeln. Folg-
lich kann er zur Kündigung eines Vertrages rechtlich nicht ver-
pflichtet werden.
Noch krasser ist die Sachlage, wenn der Vertrag, zur Zeit
wenigstens, gar nicht kündbar ist. Wie schon hervorgehoben
wurde, ist der Kaiser unseres Erachtens verpflichtet, so viel an
ihm liegt, dafür Sorge zu tragen, dass die völkerrechtlichen
Pflichten des Reiches erfüllt werden. Soll er trotzdem zur Vor-
nahme einer Handlung verpflichtet sein, welche mit den völker-
rechtlichen Pflichten des Deutschen Reiches unvereinbar ist? Das
wäre aber in diesem Falle die Ausfertigung und Verkündigung
des Gesetzes, welches zur Aufhebung des Vertragsgesetzes be-
stimmt ist.
Man vergegenwärtige sich einmal die Sachlage: auf der einen
Seite soll dem Kaiser die Ausfertigung und Verkündigung dieses
Reichsgesetzes obliegen; die weitere Ausführung des Vertrags-
gesetzes wäre damit verhindert, das Deutsche Reich würde ver-
tragsbrüchig. Auf der anderen Seite wäre der Kaiser gerade
dasjenige Organ, welches dem verletzten Mitkontrahenten wegen
dieses Vertragsbruches Rede zu stehen hätte. Was könnte er
antworten? Es ist wahr, das Deutsche Reich hat seine Pflichten
verletzt; den übereinstimmenden Beschlüssen von Bundesrat und
Reichstag gegenüber stand mir aber kein Veto zu; ich war des-