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ZORNS Ansicht, das Vertragsgesetz könne in solchen Fällen
nur durch einen Gesetzgebungsakt aufgehoben werden, ist gewiss
nicht unlogisch. Das Richtige scheint aber BORNHAK zu treffen,
wenn er sagt: es sei als Wille des Gesetzgebers anzunehmen, dass
der staatliche Befehl solange Geltung haben solle, als der Ver-
trag verbindlich sei. Wir mussten uns früher dagegen wenden,
dass hiernach das Vertragsgesetz auch im Falle einer ordnungs-
mässigen Kündigung ausser Kraft trete; das war nicht genau,
denn die Kündigungsbestimmung ist materiell und formell Be-
standteil des Vertragsgesetzes geworden; der Wille des Gesetz-
gebers ist klar ausgesprochen. Für die jetzt in Rede stehenden
Fälle trifft BORNHAKS Ansicht aber vollkommen zu. Das Ver-
tragsgesetz schafft stets ein Sonderrecht, und zwar immer mit
Rücksicht auf das bestehende Vertragsverhältns. Dem Mit-
kontrahenten und seinen Angehörigen werden Ansprüche um der
Rechte willen eingeräumt, welche das Deutsche Reich und seine
Angehörigen bei jenem geniessen sollen. Fallen diese fort, so
sollen auch jene erlöschen. Von welcher Seite auch das Ver-
tragsverhältnis zum Ende gebracht wird, immer geht das Ver-
tragsgesetz nach dem Willen des Gesetzgebers mit ıhm unter;
der Fortbestand des ersteren ist selbstverständlich Voraussetzung
für den des letzteren’®. Im Wesentlichen meint LABAND dies auch.
Es ist nur hervorzuheben, dass nicht allein der deutsche Kaiser,
sondern auch der Mitkontrahent den Vertrag aus völkerrechtlichen
Gründen aufheben kann, dass dann in gleicher Weise das deutsche
Vertragsgesetz ausser Kraft tritt, ohne dass es einer besonderen
Aufhebung bedarf.
Vom Standpunkte des Reichsstaatsrechts aus könnte noch
die Frage aufgeworfen werden, ob der Kaiser das zuständige
Reichsorgan zur Anordnung von Repressalien, zur Ausserkraft-
setzung eines Vertrags bei Kriegsbeginn sei. SEYDEL !meint, er
habe nur die Befugnisse, welche sich aus seiner Eigenschaft als
”% Vgl. LaBann, 2. Aufl. S. 666.